Das Lied der alten Steine
auch. Was wusste er, dass er sich so um sie sorgte? Sie sah auf die Schublade des Toilettentischs hinab, machte sie aber nicht auf. Irgendwann heute würde sie dafür sorgen, dass die Flasche in den Safe kam.
Sie schauderte.
Mit dem Glas voll duftendem Fruchtsaft setzte sie sich wieder
auf das Bett und nahm das Tagebuch. Am nächsten Morgen würde sie entscheiden, ob sie mit auf die Segeltour gehen würde, die am Schwarzen Brett vor dem Speisesaal angeschlagen war, oder ob sie versuchen wollte, Serena zu finden, während Andy außer Sichtweite war, um sich in aller Ruhe und ohne die Gefahr, unterbrochen zu werden, mit ihr zu unterhalten. Aber zuerst musste sie heute Nacht herausfinden, wie es der armen Louisa in den Händen von Lord Carstairs weiter erging. Sie schüttelte die Kissen um sich herum auf, legte die Hand einen Augenblick auf das Goldamulett und lächelte. Es vermittelte ihr ein Gefühl der Sicherheit und des Umsorgtwerdens, das sie, wie sie jetzt merkte, lange nicht mehr empfunden hatte. Einige Minuten saß sie gedankenverloren da und genoss dieses Gefühl, dann öffnete sie das Tagebuch.
Mit einer Kerze in der erhobenen Hand überblickte Jane Treece die Szenerie. Es war klar, was hier vor sich ging. Louisa Shelley hatte sich benommen wie die Schlampe, für die sie sie immer gehalten hatte, und Lord Carstairs in ihrer abgedunkelten Kabine empfangen. Mit einem Blick der Verachtung bemerkte sie Louisas gerötetes Gesicht und ihren wunden Mund, ihre zerrissene Bluse und den gut aussehenden, wütenden Mann, der hastig vom Bett stieg. Er war noch voll bekleidet, also war sie rechtzeitig gekommen, um ihre Lust zu stören. Mit selbstgefälligem Lächeln räusperte sich Jane Treece.
»Soll ich Ihnen beim Umkleiden für das Abendessen helfen, Mrs. Shelley, oder soll ich später wiederkommen?« Ihre Stimme hätte kaum eisiger klingen können.
»Danke, Jane. Ja. Bitte bleiben Sie. Ich möchte mich gerne umziehen.« Louisas Stimme zitterte. Sie drehte sich nach Lord Carstairs um und deutete auf die Tür. »Hinaus!«
Einen Moment zögerte er, dann duckte er sich lächelnd unter der Tür hindurch. Im schmalen Flur drehte er sich um und hob die Hand. » A bientôt, Süße. Wir werden unsere angenehme Unterhaltung sehr bald fortsetzen.«
Louisa schloss die Augen. Jane Treece zündete die Kerze neben ihrem Bett und die übrigen auf dem Tisch an und Louisa sah ihr zitternd zu. In kurzer Zeit war die Kabine erfüllt von sanft flackerndem Licht.
Ohne ein Wort zu sagen, hob Jane Treece die Kleider auf, die Louisa am Nachmittag abgelegt hatte, und faltete sie zusammen.
Dann nahm sie den Eimer und ging heißes Wasser und Handtücher holen. Louisa warf einen Blick auf ihren Schrankkoffer. Er war immer noch abgeschlossen, der kleine Schlüssel war sicher unter dem Fingerhut in ihrem Nähkästchen versteckt.
Mit zitternden Händen zog sie die Nadeln, und Kämme aus ihren kastanienfarbenen Haaren, ließ sie lang über die Schultern fallen, nahm ihre Haarbürste und begann sie mit langen, rhythmischen Strichen zu bürsten, als könnte sie das Gefühl von Carstairs’ Händen, den Geruch seines Atems, die kalte Faszination seiner Augen wegbürsten.
Sie blickte auf, als Treece zurückkam. »Danke, Jane.« Sie hatte Mühe, ihre Stimme unter Kontrolle zu bekommen. »Hat Lord Carstairs das Schiff verlassen?«
»Das weiß ich nicht, Mrs. Shelley.« Treece knallte das schwere Wassergefäß vorwurfsvoll auf den Toilettentisch, sodass das Wasser überschwappte. »Soll ich loslaufen und ihn holen?«
Louisa starrte sie an. »Wo denken Sie hin? Der Mann ist eine widerliche Bestie.« Plötzlich musste sie gegen Tränen ankämpfen. »Ich wollte nur wissen, ob er wirklich weg ist.«
Treece dachte lange über diese Worte nach und Louisa sah, wie die grimmigen Züge der Kammerfrau weich wurden.
»Ich glaube, ich habe sie sagen hören, dass er zum Abendessen bleibt«, bemerkte sie, als sie Louisas zerrissene Bluse entgegennahm und sie angeekelt betrachtete. »Das muss zu der Ghasala- Frau gebracht werden zum Waschen und Stopfen.« Sie blickte auf. »Die Forresters sind begeistert, dass ein Mitglied der Aristokratie ihnen so zugetan ist. Es würde sie höchst unangenehm berühren, wenn einer ihrer Gäste ihn verärgert hätte.«
»Ach, tatsächlich?« Mit zusammengekniffenen Lippen langte Louisa nach der Seife. »Bitte, gießen Sie mir etwas Wasser ein.«
Sie fröstelte, obwohl es in der Kabine immer noch sehr heiß war. »Ich
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