Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell
du die Heilkunst erlernt, Mirri Maz Duur?«
»Meine Mutter war Götterweib vor mir, und sie hat mich alle Lieder und Sprüche gelehrt, die dem Großen Hirten gefallen, und wie man den heiligen Rauch und Salben aus Blättern und Wurzeln und Beeren macht. Als ich jünger und noch hübscher war, bin ich mit der Karawane nach Asshai gereist, um von den dortigen Magiern zu lernen. Schiffe aus vielen Ländern kommen nach Asshai, also blieb ich lange, um die Heilkünste ferner Völker zu erlernen. Eine Mondsängerin von den Jogos Nhai hat mir ihre Geburtslieder
vermacht, eine Frau aus Eurem reitenden Volk hat mich den Zauber von Gras und Korn und Pferd gelehrt, und ein Maester aus den Ländern der Abenddämmerung hat eine Leiche für mich geöffnet und mir alle Geheimnisse gezeigt, die unter der Haut liegen.«
Ser Jorah Mormont meldete sich zu Wort. »Ein Maester?«
»Marwyn nannte er sich selbst«, antwortete die Frau in der Gemeinen Zunge. »Vom Meer. Von jenseits des Meeres. Die Sieben Länder, sagte er. Länder der Abenddämmerung. Wo Männer aus Eisen sind und Drachen herrschen. Er hat mich diese Sprache gelehrt.«
»Ein Maester in Asshai«, überlegte Ser Jorah. »Sagt mir, Götterweib, was trug dieser Marwyn um seinen Hals?«
»Eine Kette, die so eng war, dass sie ihn fast erwürgte, Eisenherr, mit Gliedern aus mancherlei Metall.«
Der Ritter warf Dany einen Blick zu. »Nur jemand, der in der Citadel von Altsass ausgebildet wurde, trägt eine solche Kette«, sagte er, »und solche Männer verstehen tatsächlich viel vom Heilen.«
»Warum solltest du meinem Khal helfen wollen?«
»Alle Menschen sind eine Herde, das zumindest lehrt man uns«, erwiderte Mirri Maz Duur. »Der Große Hirte hat mich auf die Erde gesandt, um seine Lämmer zu heilen, wo immer ich sie finde.«
Qotho versetzte ihr eine brennende Ohrfeige. »Wir sind keine Schafe, Maegi.«
»Hör auf damit«, sagte Dany zornig. »Sie gehört mir. Ich will nicht, dass man ihr etwas antut.«
Khal Drogo murrte. »Der Pfeil muss entfernt werden, Qotho.«
»Ja, Großer Reiter«, antwortete Mirri Maz Duur und berührte ihr schmerzendes Gesicht. »Und Eure Brust muss gewaschen und genäht werden, damit die Wunde nicht eitert. «
»Dann tu es«, befahl Khal Drogo.
»Großer Reiter«, sagte die Frau, »meine Instrumente und Arzneien befinden sich im Gotteshaus, wo die Heilkräfte am stärksten sind.«
»Ich werde Euch tragen, Blut von meinem Blut«, bot Haggo ihm an.
Khal Drogo winkte ab. »Man muss mir nicht helfen«, sagte er mit stolzer, harter Stimme. Er stand auf, ohne Beistand, ragte über allen auf. Frisches Blut lief über seine Brust, dort wo Ogos Arakh ihm die Brustwarze abgeschnitten hatte. Eilig trat Dany an seine Seite. »Ich bin kein Mann«, flüsterte sie, »also kannst du dich auf mich stützen. « Drogo legte ihr die mächtige Hand auf die Schulter. Sie nahm ihm etwas von seinem Gewicht, während sie dem großen Lehmtempel entgegengingen. Die drei Blutreiter folgten. Dany befahl Ser Jorah und den Kriegern ihres Khas, den Eingang zu bewachen.
Sie kamen durch eine Reihe von Vorkammern in den hohen Mittelraum unter der Zwiebel. Schwaches Licht fiel von oben durch verborgene Fenster. Ein paar Fackeln brannten qualmend in Halterungen an den Wänden. Schaffelle lagen über den erdigen Boden verteilt. »Dort«, sagte Mirri Maz Duur und deutete auf den Altar, einen massiven, blau geäderten Stein, in den Bilder von Schafhirten und ihren Herden gemeißelt waren. Khal Drogo legte sich darauf. Die alte Frau warf eine Hand voll getrockneter Blätter auf einen flachen Rost, was den Raum mit duftendem Rauch erfüllte. »Am besten wartet Ihr draußen«, sagte sie den anderen.
»Wir sind das Blut von seinem Blut«, erwiderte Cohollo. »Wir warten hier.«
Qotho trat nah an Mirri Maz Duur heran. »Wisse, Frau des Lämmergottes, wenn dem Khal etwas geschieht, geschieht dir dasselbe.« Er zog sein Messer und zeigte ihr die Klinge.
»Sie wird ihm nichts tun.« Dany spürte, dass sie dieser alten Frau mit der flachen Nase und dem offenen Gesicht vertrauen konnte. Schließlich hatte sie die Frau aus den mehr als groben Händen ihrer Vergewaltiger gerettet.
»Wenn Ihr bleiben müsst, dann helft«, erklärte Mirri den Blutreitern. »Der Große Reiter ist zu stark für mich. Haltet ihn fest, wenn ich den Pfeil aus seinem Fleisch ziehe.« Sie ließ die Fetzen ihres Kleides bis auf die Hüften fallen, als sie eine geschnitzte Truhe öffnete, und war mit
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