Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell
wie die Fliegen. In Flohloch hieß es, die Goldröcke hätten sich mit den Lennisters zusammengetan, ihren Kommandanten zum Lord gemacht, mit Landbesitz am Trident und einem Sitz im Königsrat.
Sie hatte noch anderes gehört, Erschreckendes, das in ihren Ohren keinen Sinn ergab. Manche behaupteten, ihr Vater habe König Robert ermordet und sei im Gegenzug von Lord Renly erschlagen worden. Andere beharrten darauf, dass Renly den König in trunkenem Bruderzwist umgebracht habe. Warum sonst sollte er in der Nacht wie ein gemeiner Dieb geflohen sein? Einer Geschichte zufolge war der König auf der Jagd von einem Keiler getötet worden, nach einer anderen war er gestorben, als er einen Keiler aß und sich dabei derart vollgestopft habe, dass er bei Tisch platzte. Nein, der König sei bei Tisch gestorben, sagten wieder andere, aber nur weil Varys, die Spinne, ihn vergiftet habe. Nein, es sei die Königin, die ihn vergiftet habe. Nein, er sei an den Pocken gestorben. Nein, er sei an einer Gräte erstickt.
In einem waren sich alle Geschichten einig: König Robert war tot. Die Glocken in den sieben Türmen der Großen Septe von Baelor hatten einen Tag und eine Nacht geläutet, und der Donner ihrer Trauer war wie eine bronzene Woge über die Stadt gerollt. So läuteten sie die Glocken nur beim Tod eines Königs, hatte ein Gerbersohn Arya erklärt.
Sie wollte nur nach Hause, Königsmund zu verlassen war hingegen nicht so einfach, wie sie gehofft hatte. Das Wort vom Krieg war in aller Munde, und die Goldröcke hockten dicht an dicht auf den Stadtmauern, wie die Fliegen auf … na, auf ihr zum Beispiel. Sie hatte in Flohloch geschlafen, auf Dächern und in Ställen, überall, wo sie Platz fand, sich
hinzulegen, und sie hatte nicht lang gebraucht, um festzustellen, dass dieses Viertel seinen Namen zu Recht trug.
Jeden Tag seit ihrer Flucht aus dem Roten Bergfried hatte Arya allen sieben Stadttoren einen Besuch abgestattet. Das Drachentor, das Löwentor und das Alte Tor waren verriegelt und verrammelt. Das Schlammtor und das Tor der Götter standen offen, doch nur für jene, die in die Stadt wollten. Die Wachen ließen niemanden hinaus. Wer Erlaubnis hatte, die Stadt zu verlassen, ging durchs Königstor oder durchs Eisentor, wo Soldaten der Lennisters mit roten Umhängen und löwenbesetzten Helmen die Wachtposten stellten. Als sie vom Dach einer Taverne beim Königstor herunterspähte, sah Arya, dass sie Wagen und Kutschen durchsuchten, Reiter zwangen, ihre Satteltaschen zu öffnen, und jeden befragten, der versuchte, zu Fuß hinauszukommen.
Manchmal dachte sie daran, durch den Fluss zu schwimmen, doch der Schwarzwasser war breit und tief, und alle waren sich darin einig, dass seine Strömung böse und trügerisch war. Geld, um einen Fährmann oder eine Schiffspassage zu bezahlen, hatte sie nicht.
Ihr Hoher Vater hatte sie gelehrt, niemals zu stehlen, allerdings fiel es ihr immer schwerer, sich daran zu erinnern, wieso. Wenn sie nicht bald einen Weg hinausfände, würde sie womöglich von den Goldröcken entdeckt. Sie hatte nicht viel hungern müssen, seit sie wusste, wie man Vögel mit dem Stockschwert erlegt, nur fürchtete sie, von so viel Taubenfleisch würde ihr noch übel werden. Zwei davon hatte sie roh gegessen, bevor sie nach Flohloch gekommen war.
Im Loch gab es Topfküchen entlang der Gassen, in denen Wannen voller Eintopf jahrelang schon köchelten, und man konnte einen halben Vogel gegen einen Kanten Brot vom gestrigen Tag und eine »Schale Braunes« tauschen, zudem schoben sie die andere Hälfte des Tiers sogar noch ins Feuer
und grillten sie, solange man die Federn selbst rupfte. Arya hätte alles für einen Becher Milch und einen Zitronenkuchen gegeben, auch wenn das Braune gar nicht so übel war. Gewöhnlich war Gerste darin, dazu Karottenstücke und Zwiebeln und Rüben, und manchmal sogar ein Apfel, und obenauf schwamm ein Fettfilm. Meist versuchte sie, nicht über das Fleisch nachzudenken. Einmal hatte sie ein Stück Fisch bekommen.
Ein Problem war nur, dass bei den Topfküchen immer viel Betrieb herrschte, und selbst noch während sie ihr Essen verschlang, bemerkte Arya, wie man sie beobachtete. Manche starrten ihre Stiefel an oder ihren Umhang, und sie wusste, was sie dachten. Bei anderen spürte sie fast, wie deren Blicke unter ihr Leder krochen. Sie wusste nicht, was sie dachten, und das machte ihr nur noch mehr Angst. Ein paarmal folgte man ihr in die Gassen hinaus und jagte sie, doch bisher hatte
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