Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell
noch niemand sie erwischen können.
Das silberne Armband, das sie hatte verkaufen wollen, war ihr an ihrem ersten Abend außerhalb der Burg gestohlen worden, nebst ihrem Bündel mit sauberen Kleidern, entwendet, als sie in einem ausgebrannten Haus abseits der Schweinegasse schlief. Man hatte ihr nur den Umhang gelassen, in den sie sich eingerollt hatte, das Leder an ihrem Rücken, ihr hölzernes Übungsschwert … und Nadel. Sie hatte auf Nadel gelegen, sonst wäre es ebenso weg gewesen. Es war mehr wert als alles andere zusammen. Seither hatte sich Arya angewöhnt, die Klinge mit ihrem Umhang an der Hüfte zu verbergen. Das Holzschwert trug sie in der linken Hand, wo jedermann es sehen konnte, um Räuber abzuschrecken, dennoch gab es Männer in den Topfküchen, die sich vermutlich nicht einmal von einer Streitaxt abschrecken ließen. Das genügte, um ihr den Geschmack an Tauben und schalem Brot zu verleiden. Oft genug ging sie lieber hungrig ins Bett, als deren Blicke zu riskieren.
Wenn sie erst draußen vor der Stadt wäre, würde sie Beeren sammeln oder Obstgärten suchen, aus denen sie Äpfel und Kirschen stehlen konnte. Arya erinnerte sich, vom Königsweg aus, auf dem Weg gen Süden, einige gesehen zu haben. Und sie konnte im Wald Wurzeln ausgraben, sogar Kaninchen jagen. In der Stadt konnte man nur Ratten und Katzen und dürre Hunde jagen. Die Topfküchen gaben einem eine Faustvoll Kupferstücke für einen ganzen Wurf Welpen, das hatte sie gehört, aber der Gedanke daran behagte ihr nicht.
Unterhalb der Mehlgasse breitete sich ein Labyrinth von verschlungenen Gassen und Querstraßen aus. Arya kämpfte sich durch die Menge und versuchte, Abstand zwischen sich und die Goldröcke zu bringen. Sie hatte gelernt, sich auf der Straßenmitte zu halten. Manchmal musste sie Wagen oder Pferden ausweichen, aber wenigstens konnte man sie kommen sehen. Wenn man zu nah bei den Häusern blieb, hielten die Leute einen fest. In manchen Gassen blieb einem nichts anderes übrig, als an den Mauern entlangzustreichen. Die Häuser beugten sich derart weit vor, dass sie einander fast berührten.
Eine juchzende Bande kleiner Kinder kam vorbeigelaufen, jagte einen rollenden Reif. Grollend starrte Arya sie an, erinnerte sich an die Zeiten, in denen sie mit Bran und Jon und ihrem kleinen Bruder Rickon Reifen nachgejagt war. Sie fragte sich, wie groß Rickon geworden und ob Bran wohl traurig war. Sie hätte alles gegeben, wenn Jon hier gewesen wäre und sie »kleine Schwester« gerufen und ihr das Haar zerzaust hätte. Nicht, dass es hätte zerzaust werden müssen. Sie hatte ihr Spiegelbild in Pfützen gesehen, und zerzauster konnte man kaum sein.
Sie hatte versucht, mit den Kindern zu sprechen, die sie auf der Straße traf, in der Hoffnung, dass sie Freunde finden würde, bei denen sie schlafen konnte, doch musste
sie wohl etwas Falsches gesagt haben. Die Kleinen sahen sie nur mit schnellen, argwöhnischen Blicken an und liefen davon, wenn sie zu nahe kam. Ihre großen Brüder und Schwestern stellten Fragen, die Arya nicht beantworten konnte, beschimpften sie und wollten sie bestehlen. Gestern erst hatte ein mageres Mädchen, das barfuß lief und doppelt so alt wie sie war, sie niedergeschlagen, um ihr die Stiefel von den Füßen zu zerren, doch Arya hatte ihr mit dem Holzschwert eins aufs Ohr gegeben.
Eine Möwe kreiste über ihr, als sie sich einen Weg bergab nach Flohloch bahnte. Nachdenklich blickte Arya auf, doch war das Tier für ihren Stock zu weit entfernt. Die Möwe erinnerte sie ans Meer. Vielleicht war das der Ausweg. Die Alte Nan hatte oft Geschichten von Jungen erzählt, die sich auf Handelsgaleeren versteckten und in die Welt der Abenteuer hinaussegelten. Vielleicht konnte Arya es ihnen nachtun. Sie beschloss, dem Hafen einen Besuch abzustatten. Dieser lag ohnehin auf dem Weg zum Schlammtor, und dort war sie heute noch nicht gewesen.
An den Kaianlagen war es seltsam ruhig, als Arya dort ankam. Sie entdeckte ein weiteres Paar Goldröcke, die Seite an Seite über den Fischmarkt liefen, sie jedoch keines Blickes würdigten. Die Hälfte der Stände war leer, und ihr schienen weniger Schiffe dort zu liegen, als sie in Erinnerung hatte. Draußen auf dem Schwarzwasser fuhren drei königliche Kriegsgaleeren in Formation, goldbemalte Rümpfe teilten das Wasser, während die Ruder sich hoben und senkten. Arya beobachtete sie eine Weile, dann machte sie sich auf den Weg am Wasser entlang.
Auf dem dritten Pier entdeckte sie
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