Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell
Laufen.
»Die Hand! Sie wollen ihm den Kopf abschlagen, sagt Buu.«
Ein Wagen hatte eine tiefe Furche in der Straße hinterlassen. Der Junge sprang darüber, Arya übersah sie. Sie stolperte und fiel, mit dem Gesicht voran, schlug sich das Knie an einem Stein auf und dann die Finger, als ihre Hände über den festgetretenen Boden schrammten. Nadel verfing sich zwischen ihren Beinen. Schluchzend kam sie wieder auf die Beine. Der Daumen ihrer linken Hand war voller Blut. Als sie daran leckte, sah sie, dass der halbe Daumennagel fort war, im Sturz herausgerissen. Ihre Hände schmerzten, und auch ihr Knie war blutig.
»Macht Platz!« , rief jemand aus der Querstraße. »Macht Platz für die Lords von Rothweyn!« Arya konnte gerade eben noch zur Seite springen, bevor vier Gardisten auf riesigen Pferden im Galopp vorüberstürmten. Sie trugen karierte Umhänge, blau und rot. Hinter ihnen ritten zwei junge Lords Seite an Seite auf kastanienbraunen Stuten, die einander glichen wie ein Ei dem anderen. Hundertmal schon
hatte Arya sie bei Hofe gesehen. Die Rothweyn-Zwillinge, Ser Horas und Ser Hobber, unscheinbare Jungen mit hellrotem Haar und eckigen Gesichtern voller Sommersprossen. Sansa und Jeyne Pool hatten sie stets Ser Horror und Ser Schlabber genannt und jedes Mal gekichert, wenn sie ihnen begegneten. Jetzt sahen sie keineswegs komisch aus.
Alles drängte in dieselbe Richtung, alle in Eile, sich anzusehen, was es mit dem Läuten auf sich hatte. Inzwischen schienen die Glocken lauter geworden zu sein, schallend, rufend. Arya schloss sich dem Strom der Menschen an. Ihr Daumen schmerzte dort, wo der Nagel gebrochen war, so sehr, dass sie fast weinen musste. Sie biss sich auf die Lippen, während sie humpelte und den aufgeregten Stimmen um sich lauschte.
»… die Hand des Königs, Lord Stark. Sie bringen ihn hinauf zur Septe von Baelor.«
»Ich dachte, er wäre tot.«
»Bald schon, bald schon. Hier habe ich einen Silberhirschen, auf dem steht, dass sie ihm den Schädel abschlagen. «
»Wird auch Zeit, der Hochverräter.« Der Mann spuckte aus.
Arya versuchte, sich Gehör zu verschaffen. »Er hat niemals …«, setzte sie an, doch war sie nur ein Kind, und sie fuhren ihr glatt über den Mund.
»Narr! Die werden ihn nicht köpfen. Seit wann werden Verräter auf den Stufen der Großen Septe hingerichtet?«
»Na, die wollen ihn sicher nicht zum Ritter salben. Ich habe gehört, Stark hätte den alten König Robert ermordet. Hat ihm im Wald die Kehle aufgeschlitzt, und als sie ihn fanden, stand er da, als könne er kein Wässerchen trüben, und sagte, irgendein alter Keiler hätte Seine Majestät auf dem Gewissen.«
»Ach, das ist nicht wahr, sein eigener Bruder hat ihn umgebracht, dieser Renly, der mit seinem goldenen Geweih.«
»Halt du dein verlogenes Maul, Weib. Du weißt nicht, was du redest, Seine Lordschaft ist ein wahrlich feiner Mann.«
Als sie zur Straße der Schwestern kamen, standen sie Schulter an Schulter. Arya ließ sich vom Menschenstrom mitreißen, bis auf den Visenyashügel. Der weiße, marmorne Platz war eine feste Menschenmenge, und die Leute schrien einander vor Aufregung an und versuchten, näher an die Große Septe von Baelor zu gelangen. Hier tönten die Glocken noch lauter.
Arya wand sich durch die Menge, duckte sich zwischen den Beinen von Pferden hindurch und hielt ihr Holzschwert ganz fest. Aus der Mitte der Menge konnte sie nur Arme und Beine und Bäuche sehen, und die sieben schlanken Türme der Septe ragten über allem auf. Sie fand einen Holzwagen und wollte hinaufklettern, damit sie etwas sehen konnte, andere hatten jedoch schon dieselbe Idee gehabt. Der Fuhrmann verfluchte sie alle und trieb sie mit knallender Peitsche fort.
Panik überkam Arya. Als sie sich durch die Menge nach vorn drängte, wurde sie gegen den Stein eines Säulensockels gedrückt. Sie blickte zu Baelor, dem Seligen, dem Septonkönig auf. Arya schob ihr Holzschwert durch den Gürtel und fing an zu klettern. Ihr gebrochener Daumennagel verschmierte Blut auf dem bemalten Marmor, doch schaffte sie es nach oben und klemmte sich zwischen die Füße des Königs.
Da entdeckte sie ihren Vater.
Lord Eddard stand auf der Kanzel des Hohen Septons vor den Toren der Septe, von zwei Goldröcken gestützt. Er trug ein prächtiges Wams aus grauem Samt, auf dem vorn mit Perlen ein weißer Wolf gestickt war, dazu einen grauen
Wollumhang, mit weißem Fell besetzt, und trotzdem war er dünner, als Arya ihn je gesehen hatte,
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