Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell
sein langes Gesicht von Schmerz gezeichnet. Er wurde eher aufrecht gehalten, als dass er stand. Der Gips an seinem gebrochenen Bein war grau und verfault.
Der Hohe Septon selbst stand hinter ihm, ein untersetzter Mann, grau vom Alter und dick und fett, trug ein langes weißes Gewand und eine mächtige Krone aus Goldgespinst und Kristall, die seinen Kopf mit Regenbögen umgaben, wenn er sich bewegte.
Um die Tore der Septe, vor der erhabenen Marmorkanzel, drängten sich Ritter und hohe Lords. Joffrey fiel unter ihnen auf, sein Gewand ganz rot, Seide und Satin, mit stolzierenden Hirschen und brüllenden Löwen gemustert, eine goldene Krone auf dem Kopf. Seine Königinmutter stand in schwarzen Trauerkleidern, von Rot durchwirkt, gleich neben ihm mit einem Schleier aus schwarzen Diamanten im Haar. Arya erkannte den Bluthund, der einen schneeweißen Umhang über seiner dunkelgrauen Rüstung trug und den vier Männer der Königsgarde umgaben. Sie sah, dass Varys, der Eunuch, in weichen Pantoffeln und gemusterter Robe aus Damast zwischen den Lords herumlief, und sie meinte, der kleine Mann mit dem silbernen Umhang und seinem spitzen Bart mochte wohl der Mann sein, der sich einst um seine Mutter duelliert hatte.
Und dort in ihrer Mitte war Sansa, in himmelblaue Seide gewandet, das lange, kastanienbraune Haar gewaschen und gelockt, und silberne Armreifen trug sie an den Handgelenken. Arya zog eine finstere Miene, fragte sich, was ihre Schwester dort trieb, warum sie derart glücklich schien.
Unter dem Kommando eines beleibten Mannes in verzierter Rüstung, ganz schwarzer Lack und goldenes Filigranwerk, hielt eine lange Reihe goldbekleideter Lanzenträger die Menge zurück.
Als das Glockenläuten ausklang, breitete sich langsam Stille auf dem Platz aus, und ihr Vater hob den Kopf und begann zu sprechen, mit so dünner und schwacher Stimme, dass sie ihn kaum verstehen konnte. Leute hinter ihr fingen an zu rufen: »Was?« und »Lauter!« Der Mann in der schwarzgoldenen Rüstung trat hinter ihren Vater und trieb ihn scharf an. Lasst ihn in Ruhe!, wollte Arya schreien, doch wusste sie, dass niemand auf sie hören würde. Sie nagte an ihrer Lippe.
Nun sprach ihr Vater mit lauterer Stimme und begann von neuem. »Ich bin Eddard Stark, Lord von Winterfell und Hand des Königs«, sagte er dröhnend, und seine Stimme drang über den Platz, »und ich trete vor Euch, um meinen schändlichen Verrat im Angesicht der Götter und Menschen einzugestehen.«
»Nein«, jammerte Arya. Unter ihr fing die Menge an zu schreien und zu toben. Flüche und Obszönitäten erfüllten die Luft. Sansa verbarg ihr Gesicht mit den Händen.
Ihr Vater sprach mit immer fester werdender Stimme, gab sich Mühe, dass man ihn hören konnte. »Ich habe den Treueeid vor meinem König gebrochen und das Vertrauen meines Freundes Robert missbraucht«, rief er. »Ich habe geschworen, seine Kinder zu schützen und zu verteidigen, doch bevor sein Blut noch kalt war, hatte ich den Plan geschmiedet, seinen Sohn abzusetzen und zu ermorden und den Thron selbst zu besteigen. Lasst den Hohen Septon und Baelor, den Geliebten, und die Sieben Zeugen der Wahrheit dessen werden, was ich hier sagen will: Joffrey Baratheon ist der einzig wahre Erbe des Eisernen Thrones und durch die Gnade aller Götter Lord der Sieben Königslande und Protektor des Reiches.«
Ein Stein flog aus der Menge. Arya schrie auf, als sie sah, dass ihr Vater davon getroffen wurde. Die Goldröcke hielten ihn aufrecht. Blut lief aus einer tiefen Wunde an der
Stirn über sein Gesicht. Weitere Steine folgten. Einer traf den Gardisten, der rechts von ihrem Vater stand. Ein weiterer prallte vom Brustpanzer des Ritters in der schwarzgoldenen Rüstung ab. Zwei aus der Königsgarde traten vor Joffrey und die Königin, schützten sie mit ihren Schilden.
Ihre Hand glitt unter ihren Umhang und fand Nadel. Mit fester Hand hielt sie den Griff, drückte ihn so fest, wie sie noch nie im Leben etwas gedrückt hatte. Bitte, Ihr Götter, wacht über ihn, betete sie. Lasst nicht zu, dass sie meinem Vater etwas antun.
Der Hohe Septon kniete vor Joffrey und seiner Mutter. »Wie wir sündigen, so leiden wir«, sang er mit tiefer Stimme, viel lauter als die ihres Vaters. »Dieser Mann hat seine Untaten im Angesicht der Götter und der Menschen gestanden, hier an diesem heiligen Ort.« Regenbögen umtanzten seinen Kopf, als er flehentlich die Hände hob. »Die Götter sind gerecht, doch hat uns Baelor der Selige auch gelehrt,
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