Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell
»Versprich es mir, Ned«, flüsterte Lyannas Statue. Sie trug einen Blumenkranz aus hellblauen Rosen, und aus ihren Augen rannen Tränen aus Blut.
Eddard Stark schreckte hoch, sein Herz raste, die Laken waren zerwühlt. Im Zimmer herrschte pechschwarze Nacht, und jemand hämmerte an die Tür. »Lord Eddard«, rief eine Stimme.
»Einen Augenblick.« Benommen und nackt taumelte er durch die dunkle Kammer. Als er die Tür öffnete, fand er Tomard mit erhobener Faust vor und Cayn mit einer dünnen Kerze in der Hand. Zwischen ihnen stand der Haushofmeister des Königs.
Das Gesicht des Mannes hätte ebenso aus Stein gemeißelt sein können, so wenig war darin zu lesen. »Mylord Hand«, stimmte er an. »Seine Majestät der König befiehlt Eure Anwesenheit. Sofort.«
Also war Robert von seiner Jagd heimgekehrt. Er war schon lange überfällig. »Ich werde ein paar Minuten brauchen, um mich anzukleiden.« Ned ließ den Mann draußen warten. Cayn half ihm: weiße Leinenrobe und grauer
Umhang, Hosen, an seinem eingegipsten Bein zerschnitten, sein Amtsabzeichen und schließlich ein Gürtel aus einer schweren Silberkette. Er schob den valyrischen Dolch hinein.
Im Roten Bergfried war alles dunkel und still, während Cayn und Tomard ihn über den inneren Burghof eskortierten. Der Mond hing tief über den Mauern, reifte heran. Auf dem Festungswall zog ein Gardist mit goldenem Umhang seine Runden.
Die königlichen Gemächer befanden sich in Maegors Feste, einer massiven, quadratischen Festungsanlage im Herzen des Roten Bergfrieds, hinter zwölf Fuß dicken Mauern und einem trockenen Burggraben, umgeben von Eisenspitzen, eine Burg in der Burg. Ser Boros Blount wachte am anderen Ende der Brücke, seine weiße, stählerne Rüstung glänzte gespenstisch im Mondlicht. Drinnen kam Ned an zwei weiteren Rittern der Königsgarde vorüber: Ser Preston Grünfeld stand am Fuß der Treppe, und Ser Barristan Selmy wartete an der Tür zum Schlafgemach des Königs. Drei Männer mit weißen Umhängen, dachte er, erinnerte sich, und eine seltsame Kälte durchfuhr ihn. Ser Barristans Gesicht war so blass wie seine Rüstung. Ned musste ihn nur ansehen, um zu wissen, dass irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Der Königliche Haushofmeister öffnete die Tür. »Lord Eddard Stark, die Hand des Königs«, verkündete er.
»Bringt ihn her«, rief Robert, die Stimme seltsam heiser.
Feuer flackerten in den zwei Kaminen auf beiden Seiten des Schlafgemachs, erfüllten den Raum mit trübem, rotem Schein. Die Hitze war erdrückend. Robert lag auf dem Bett mit Baldachin. Daneben stand Großmaester Pycelle, während Lord Renly rastlos vor den verriegelten Fenstern auf und ab schritt. Diener eilten hin und her, legten Scheite ins Feuer und wärmten Wein. Cersei Lennister saß auf dem
Rand des Bettes neben ihrem Mann. Ihr Haar war zerzaust wie vom Schlaf, doch fand sich keine Müdigkeit in ihren Augen. Ihr Blick folgte Ned, indes Tomard und Cayn ihm durchs Zimmer halfen. Er schien sich sehr langsam zu bewegen, als träumte er noch.
Der König trug noch seine Stiefel. Ned konnte sehen, dass trockener Schlamm und Gras am Leder klebten, wo Roberts Füße unter seiner Decke hervorlugten. Ein grünes Wams lag am Boden, aufgeschlitzt und achtlos fallen gelassen, der Stoff von rotbraunen Flecken verkrustet. Im Raum roch es nach Rauch und Blut und Tod.
»Ned«, flüsterte der König, als er ihn erblickte. Sein Gesicht war weiß wie Milch. »Komm … näher.«
Seine Männer brachten ihn ans Bett. Ned stützte sich mit einer Hand auf einen Pfosten. Ein Blick auf Robert genügte, um zu wissen, wie schlimm es stand. »Was …?«, begann er.
»Ein Keiler.« Lord Renly trug noch sein Jagdgrün, dessen Umhang blutbespritzt war.
»Ein Teufel«, stieß der König mit rauer Stimme aus. »Mein eigener Fehler. Zu viel Wein, verdammt noch mal! Hab danebengeworfen.«
»Und wo wart Ihr anderen?«, verlangte Ned von Lord Renly zu wissen. »Wo waren Ser Barristan und die Königsgarde? «
Renlys Mund zuckte. »Mein Bruder hat uns befohlen, beiseitezutreten und ihm den Keiler zu überlassen.«
Eddard Stark hob die Decke an.
Sie hatten alles getan, um ihn einzukreisen, nur war das nicht genug. Der Keiler musste ein Furcht einflößendes Vieh gewesen sein. Er hatte den König mit seinen Hauern vom Magen bis zur Brust aufgerissen. Die weingetränkten Bandagen, die Großmaester Pycelle angelegt hatte, waren schon schwarz vor Blut, und die Wunden stanken grauenvoll.
Ned
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