Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell
zucken, den großen Speer in Händen, und oft genug verfluchte er den Keiler, wenn dieser angriff, wartete bis zur letztmöglichen Sekunde, bis der ihn fast erreicht hatte, und erlegte ihn dann mit einem einzigen sicheren und wilden Wurf. »Niemand konnte wissen, dass dieser eine ihn das Leben kosten würde.«
»Es ist freundlich von Euch, das zu sagen, Lord Eddard. «
»Der König selbst hat so gesprochen. Er hat dem Wein die Schuld gegeben.«
Der weißhaarige Ritter nickte müde. »Seine Majestät schwankte bereits im Sattel, als wir den Keiler aus seinem Bau gescheucht hatten, trotzdem hat er uns befohlen, beiseitezutreten. «
»Ich frage mich, Ser Barristan«, sagte Varys ganz leise, »wer dem König seinen Wein gereicht hat.«
Ned hatte den Eunuchen nicht kommen gehört, doch als er sich umsah, stand er dort. Er trug einen schwarzen Samtumhang, der über den Boden strich, und sein Gesicht war frisch gepudert.
»Der Wein kam aus des Königs eigenem Schlauch«, sagte Ser Barristan.
»Nur ein Schlauch? Die Jagd ist ein so durstiges Geschäft. «
»Ich habe nicht mitgezählt. Mehr als einer, mit Sicherheit. Sein Knappe hat ihm stets einen neuen geholt, sobald er einen wollte.«
»Welch pflichtbewusster Knabe«, sagte Varys, »der dafür sorgt, dass es Seiner Majestät nicht an Erfrischungen mangelt.«
Ned hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Er erinnerte
sich an die beiden blonden Jungen, die Robert geschickt hatte, um ihm einen Einsatz für seinen Brustpanzer zu beschaffen. Der König hatte allen an jenem Abend beim Fest die Geschichte erzählt und dabei gelacht, dass er sich schüttelte. »Welcher Knappe?«
»Der ältere«, sagte Ser Barristan. »Lancel.«
»Ich kenne den Knaben gut«, sagte Varys. »Ein standhafter Bursche, Ser Kevan Lennisters Sohn, der Neffe von Lord Tywin und Vetter der Königin. Ich hoffe, der gute Junge macht sich keine Vorwürfe. Kinder sind so verletzbar in der Unschuld ihrer Jugend, wie ich mich gut erinnere.«
Vermutlich war Varys einmal jung gewesen. Ned bezweifelte, dass er je Unschuld besessen hatte. »Da Ihr von Kindern sprecht. Robert hatte es sich anders überlegt, was Daenerys Targaryen angeht. Vereinbarungen, die Ihr bereits getroffen habt, sind rückgängig zu machen. Und zwar sofort. «
»O weh«, entfuhr es Varys. »Sofort könnte zu spät sein. Ich fürchte, die Vögel sind schon ausgeflogen. Doch werde ich tun, was ich kann, Mylord. Mit Eurer Erlaubnis.« Er verneigte sich und verschwand die Treppe hinab, und seine Pantoffeln mit den weichen Sohlen flüsterten dabei über den Stein.
Cayn und Tomard halfen Ned gerade über die Brücke, als Lord Renly aus Maegors Feste trat. »Lord Eddard«, rief er Ned hinterher, »einen Augenblick, wenn Ihr so freundlich wäret.«
Ned blieb stehen. »Wie Ihr wünscht.«
Renly trat an seine Seite. »Schickt Eure Männer fort.« Sie trafen sich auf der Mitte der Brücke, den trockenen Graben unter sich. Mondlicht versilberte die grässlichen Spitzen der Spieße, von denen er gesäumt war.
Ned machte eine Geste. Tomard und Cayn neigten die Köpfe und zogen sich voller Respekt zurück. Argwöhnisch
warf Lord Renly einen Blick auf Ser Boros am anderen Ende des Brückenbogens, auf Ser Preston in der Tür hinter ihnen. »Dieser Brief.« Er beugte sich nah heran. »Ging es um die Regentschaft? Hat mein Bruder Euch zum Protektor gemacht? « Er wartete nicht auf eine Antwort. »Mylord, ich habe dreißig Mann in meiner Leibgarde und daneben andere Freunde, Ritter und Lords. Gebt mir eine Stunde, und ich kann Euch hundert Streiter zur Verfügung stellen.«
»Und was sollte ich mit hundert Streitern tun, Mylord?«
»Zuschlagen! Jetzt, während die Burg noch schläft.« Renly wandte sich noch einmal zu Ser Boros um und sprach mit drängendem Flüstern. »Wir müssen Joffrey seiner Mutter nehmen und in die Hand bekommen. Protektor oder nicht: Der Mann, der den König hat, hat auch das Königreich. Wir sollten auch Myrcella und Tommen mitnehmen. Wenn wir ihre Kinder haben, wird Cersei nicht wagen, sich gegen uns zu stellen. Der Rat wird Euch als Protektor bestätigen und Joffrey zu Eurem Mündel machen.«
Ned betrachtete ihn kalten Blickes. »Robert ist noch nicht tot. Vielleicht verschonen ihn die Götter. Wenn nicht, werde ich den Rat einberufen, um seine letzten Worte kundzutun und die Frage seiner Nachfolge erörtern, aber ich werde seine letzten Stunden auf Erden nicht entehren, indem ich unter seinem Dach Blut vergieße und
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