Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell
über der Kerze.
Seine Regentschaft wäre von kurzer Dauer, dachte er, während das Wachs weich wurde. Der neue König würde seine eigene Hand wählen. Ned würde heimkehren können. Der Gedanke an Winterfell rief ein mattes Lächeln auf sein Gesicht. Er wollte wieder Brans Lachen hören, mit Robb auf Falkenjagd gehen, Rickon beim Spielen zusehen. Er wollte in traumlosen Schlaf hinüberdämmern, in seinem eigenen Bett, die Arme um seine Frau geschlungen, Catelyn.
Cayn kehrte zurück, als er das Siegel mit dem Schattenwolf ins weiche, weiße Wachs drückte. Desmond war bei ihm, und zwischen ihnen Kleinfinger. Ned dankte seinen Männern und schickte sie fort.
Lord Petyr trug einen blauen Samtrock mit Puffärmeln, sein silbriger Umhang war mit Nachtigallen gemustert. »Ich denke, Glückwünsche wären angebracht«, sagte er, indes er sich setzte.
Ned sah ihn böse an. »Der König ist verwundet und dem Tode nah.«
»Ich weiß«, sagte Kleinfinger. »Aber ich weiß auch, dass Robert Euch zum Protektor des Reiches ernannt hat.«
Neds Augen zuckten zum Brief des Königs auf dem Tisch neben ihm, das Siegel ungebrochen. »Und wie geschieht es, dass Ihr davon wisst, Mylord?«
»Varys hat es angedeutet«, sagte Kleinfinger, »und Ihr habt es mir eben bestätigt.«
Ned verzog den Mund vor Zorn. »Verdammter Varys mit seinen kleinen Vögeln! Catelyn hat die Wahrheit gesagt, der Mann beherrscht die schwarzen Künste. Ich traue ihm nicht.«
»Ausgezeichnet. Ihr lernt dazu.« Kleinfinger beugte sich vor. »Allerdings gehe ich davon aus, dass Ihr mich nicht habt holen lassen, um mitten in der Nacht mit mir über den Eunuchen zu sprechen.«
»Nein«, gab Ned zu. »Ich kenne das Geheimnis, dessentwegen Jon Arryn ermordet wurde. Robert wird keinen Sohn hinterlassen. Joffrey und Tommen sind Jaime Lennisters Bastarde, geboren aus seiner inzestuösen Verbindung mit der Königin.«
Kleinfinger zog eine Augenbraue hoch. »Schockierend«, sagte er mit einem Tonfall, der andeutete, wie wenig er schockiert war. »Das Mädchen auch? Zweifelsohne. Wenn also der König stirbt …«
»Der Thron geht rechtmäßig an Lord Stannis, den älteren von Roberts Brüdern.«
Lord Petyr strich sich durch den spitzen Bart, während er die Angelegenheit überdachte. »So scheint es wohl. Es sei denn …«
»Es sei denn, Mylord? Hier gibt es keinen Anschein. Stannis ist der Erbe. Daran ist nicht zu rütteln.«
»Stannis kann den Thron nicht ohne Eure Hilfe besteigen. Wenn Ihr klug seid, sorgt Ihr dafür, dass Joffrey die Nachfolge antritt.«
Mit steinernem Blick sah Ned ihn an. »Habt Ihr auch nur einen Funken Ehrgefühl?«
»Oh, einen Funken schon«, erwiderte Kleinfinger salopp. »Hört mich an. Stannis ist nicht Euer Freund und auch nicht der meine. Selbst seine Brüder können ihn kaum ertragen.
Der Mann ist aus Eisen, hart und unnachgiebig. Er wird uns eine neue Hand und einen neuen Rat geben, so viel ist sicher. Zweifellos wird er Euch danken, dass Ihr ihm die Krone überreicht habt, doch wird er Euch dafür nicht lieben. Und sein Aufstieg wird Krieg bedeuten. Stannis wird auf dem Thron erst sicher sitzen, wenn Cersei und ihre Bastarde tot sind. Glaubt Ihr, Lord Tywin würde müßig zusehen, wenn der Kopf seiner Tochter auf einer Eisenstange steckt? Casterlystein wird sich erheben und das nicht allein. Robert hatte die Eigenheit, Männern zu verzeihen, die König Aerys gedient hatten, solange sie ihm Treue schworen. Stannis ist weniger versöhnlich. Er wird die Belagerung von Sturmkap nicht vergessen haben und die Lords Tyrell und Rothweyn ganz sicher nicht. Jedermann, der unter dem Drachenbanner gefochten oder sich mit Balon Graufreud erhoben hat, wird allen Grund haben, sich zu fürchten. Setzt Stannis auf den Eisernen Thron, und ich verspreche Euch, das Reich wird bluten.
Dann seht Euch die andere Seite der Münze an. Joffrey ist erst zwölf, und Robert hat Euch die Regentschaft übertragen, Mylord. Ihr seid die Hand des Königs und Protektor des Reiches. Die Macht liegt bei Euch, Lord Stark. Ihr müsst nur die Hand ausstrecken und danach greifen. Schließt Frieden mit den Lennisters. Befreit den Gnom. Vermählt Joffrey mit Sansa. Vermählt Euer jüngeres Mädchen mit Prinz Tommen und Euren Erben mit Myrcella. Es dauert noch vier Jahre, bis Joffrey mündig wird. Bis dahin wird er in Euch den zweiten Vater sehen, und wenn nicht, nun … vier Jahre sind eine ganze Weile, Mylord. Lang genug, sich Lord Stannis’ zu entledigen. Dann,
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