Das Los: Thriller (German Edition)
immer heller, dachte er. Bald würde es keine dunklen Ecken mehr geben, in denen man sich verstecken konnte.
Ein Schatten huschte an ihm vorbei. Ein Jogger, der in dieselbe Richtung wie er unterwegs war und die Kapuze tief in das Gesicht gezogen hatte. Für einige Meter hörte Carter das angestrengte Keuchen des Läufers, dann war er auch schon um die nächste Biegung enteilt.
Als auch Carter die Ecke erreichte, lag vor ihm ein sehr langer, schnurgerader Weg. Er stutzte. Etwas stimmte nicht; er konnte jedoch nicht sagen, was. Es war ein Gefühl wie bei einem dieser Fehlerbilder, auf denen im Vergleich zu einem anderen deckungsgleichen Bild etwas fehlte. Die Laternen leuchteten, keine war ausgefallen. Den Weg säumten dunkle Bäume, auch daran war nichts Außergewöhnliches. Doch irgendetwas fehlte. Mit seinem Puls beschleunigte er auch seine Schritte. Eine innere Stimme sagte ihm, dass es besser war, hier zu verschwinden. Als sich plötzlich neben ihm etwas bewegte, wusste er, was er in dem Bild vermisst hatte: den Jogger.
Das Nächste, was er sah, war das Mündungsfeuer, das mehrfach aufblitzte, begleitet von dumpfen Schlägen. Instinktiv sprang er auf den Angreifer zu und schlug nach ihm, und er spürte, dass etwas seine Hand streifte. Dann begann er zu rennen.
Ein Schleier legte sich über die Umgebung, wie in einem mit Weichzeichner gedrehten Film. Sein Herz schien aus seiner Lunge, seinem Mund herauszuquellen, doch er lief weiter und weiter. Vor seinen Augen rissen Bilder auseinander und fügten sich anschließend wieder zusammen. Bäume flogen an ihm vorbei, dann hatte er das Gefühl, selbst zu fliegen.
Endlich hatte er den Ausgang des Parks erreicht; er wusste nicht, ob nach einer Minute oder einer Stunde. Ein Taxi stand einige Meter von ihm entfernt. Er taumelte darauf zu und prallte hart gegen die Karosserie. Der gelbe Lack verfärbte sich rot.
Hände berührten ihn, trugen ihn, legten ihn auf den kalten Boden. Fremde Gesichter voller Panik starrten ihn an. Mobilfunktelefone wurden an Ohren gepresst. Sirenengeheul näherte sich. Er war hellwach und verstand dennoch nicht.
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H AMBURG
Das heiße Wasser traf wie ein sanfter Regen auf ihren Hinterkopf und bahnte sich, geleitet von ihrem langen Haar, seinen Weg den Rücken hinab, bevor es mit lautem Plätschern auf den Marmorboden prasselte. Mit geschlossenen Augen legte sie ihren Kopf in den Nacken und genoss die Wärme und das beruhigende Geräusch des fließenden Wassers.
In der Duschkabine des Hotels fühlte sie sich ein wenig wie auf dem Transporterdeck des Raumschiffs Enterprise. Eben noch hatte sie in Las Vegas am Pokertisch gesessen und den größten Erfolg ihrer Karriere gefeiert. Nun fand sie sich in einer Hafenstadt in Deutschland wieder und wusste nicht so recht, was sie hier sollte.
Eigentlich war es Chads Erscheinen gewesen, der sie zur Unterschrift unter diese Teilnahmeerklärung bewogen hatte. Wäre er an jenem Abend, an dem sie plötzlich reich geworden war, nicht aufgetaucht und hätte sie nicht so viel getrunken, sie hätte vermutlich niemals an dieser Lotterie teilgenommen. Oder doch? War es ein Teil ihrer Natur als Spielerin, das Gewonnene immer wieder gegen die Chance auf einen noch größeren Gewinn einzutauschen? Und wenn ja – wann hätte sie endlich genug gewonnen?
Sie hielt ihr Gesicht direkt unter den Duschkopf und rieb sich laut prustend mit seifigen Händen über das Gesicht. Vielleicht war es so. Und wenn sie genau in sich hineinhorchte, spürte sie auch jetzt dieses Adrenalin, das ihren Körper durchströmte. Vermutlich träumte jeder von unendlichem Reichtum, selbst wenn er nicht so recht wusste, was er damit anfangen sollte. Sie aber würde für das Geld besondere Verwendung haben. Mit Sicherheit würde sie sich einen sehr hohen Lebensstandard leisten. Wohnsitze an den sonnigsten Plätzen dieser Welt unterhalten. Vielleicht auch eine Jacht oder ein schnelles Auto. In die Gegenden der Erde reisen, in denen sie noch nie war.
Mit einem großen Teil des Gewinns würde sie aber auf jeden Fall Gutes tun. Ihren Eltern einen luxuriösen Lebensabend bescheren, den sie sich wirklich verdient hatten. Und sie würde Bedürftige unterstützen. Vermutlich würde sie eine eigene Hilfsorganisation aufbauen, denn irgendeine Aufgabe brauchte man, auch wenn man finanziell ausgesorgt hatte. Kein Mensch brauchte mehrere hundert Millionen oder gar Milliarden. Sie würde mit dem Schicksal, falls es sie als Gewinnerin erwählte, einen
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