Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
seiner Kreisstadt abgepasst, verprügelt und in die Heimat zurückgebracht.
Ein Unglück kommt selten allein. Die Familie sollte nun auch ihr Haus, in dem sie seit Generationen gelebt hatte, verlassen, weil der Industriepark noch mehr Fläche brauchte. Als die Familie sich weigerte, in ein anderes Viertel umzuziehen, bekam sie keine Genehmigung für die Eröffnung eines neuen Restaurants. Und eines Tages, als die Familie in der Stadt unterwegs war, schlich sich jemand ins Haus und zerstörte die Möbel. Tubai war sofort überzeugt, dass die Handlanger des Investors dahintersteckten, und machte sich erneut auf den Weg nach Fuzhou. Diesmal wurde er wie ein Verbrecher behandelt. Die Lokalbeamten fingen ihn ab und sperrten ihn drei Tage lang ein. Erst als er unterschrieb, dass er das Beschwerdebüro »nicht mehr stören« würde, ließ man ihn wieder nach Hause gehen.
Niedergeschlagen kam Tubai nach Hause. Er wollte nicht mehr in Dahu bleiben. Zu dieser Zeit flohen junge Leute aus seiner Gegend scharenweise ins Ausland, um mehr zu verdienen. Nach ein paar Jahren schickten sie Geld nach Hause und ließen neue Häuser bauen. Je größer und protziger die Häuser, desto erfolgreicher waren die Flüchtlinge. Bald hatte Tubai den Eindruck, dass man im Ausland schneller Geldverdienen könne als in der Heimat, und er beschloss, sein Glück ebenfalls in der Fremde zu suchen.
Er nahm die Hilfe eines »Schlangenkopfes«, eines mächtigen Menschenschmugglers aus Putian, in Anspruch, der versprach, Tubai und seine Verlobte nach Deutschland zu bringen. Er riet ihm, sich bei den deutschen Behörden als Opfer der Ein-Kind-Politik auszugeben, denn dadurch vergrößere er seine Chance, aufgenommen zu werden. Die Familie zahlte dem Schlangenkopf zwei Jahreseinkommen der Imbissbude und schickte das junge Paar auf die Reise. Es war noch immer nicht verheiratet, weil Tubai noch nicht achtzehn war. Mit falschen Papieren flogen sie über Hongkong nach Budapest. Von dort aus wurden sie, zusammen mit fünf anderen, im strömenden Regen bei Nacht an die tschechische Grenze geführt. Dann passierte das Unglück: Die Gruppe wurde von der tschechischen Grenzpolizei auseinandergerissen. Tubai schaffte es bis nach Berlin, aber seine Verlobte wurde aufgegriffen und eingesperrt. Sie wurde krank und starb an einer Lungenentzündung, noch während sie auf die Abschiebung wartete.
Im Morgengrauen war Tubai in Berlin angekommen. Der Mann, der ihn die letzte Strecke geführt hatte, zeigte ihm das große Gelände der Ausländerbehörde und sagte ihm, er müsse den weiteren Weg jetzt allein gehen. Er dürfe auf keinen Fall verraten, wie er ins Land gekommen sei, sonst würden die Schlepper ihn finden und töten. Noch am selben Tag reichte Tubai einen Asylantrag ein.
Heute, sieben Jahre später, ist er fünfundzwanzigund noch immer Asylbewerber. Er weiß, er darf in Deutschland nicht arbeiten. Aber das Herumsitzen hat er nicht gelernt. So ist er Schwarzarbeiter geworden. Vor drei Jahren kam er zu Boss Guan. Seither ist er bei ihm geblieben.
Nachdem er eine halbe Stunde lang seine Kampfkunst geübt hat, geht Tubai im Dunkeln in den Toilettenraum für die Mitarbeiter, hinter der Küche, und nimmt eine kalte Dusche. Dann zieht er sich in das Büro zurück, lässt eine Leiter aus einer Klappe in der Decke herunter und klettert zu seiner Unterkunft hoch. Der versteckte Hohlraum ist nur einen Meter hoch, und im Inneren ist es dunkel und stickig. Er kann nicht einmal aufrecht sitzen. Um frische Luft zu bekommen, kriecht er mit den Füßen zuerst hinein und legt sich mit dem Kopf in Richtung der Klappe, die als Belüftungsgitter getarnt ist. Gerade hat er sich auf seinem Lager ausgestreckt, als ihn ein vertrauter Gedanke erfasst: »Wann werde ich endlich ein freier Mann sein?«
Um sich von seinen düsteren Gedanken abzulenken, holt er eine Schachtel hervor und knipst die Taschenlampe an. Eine schwarze Fliege aus Satin erscheint im Lichtstrahl. Das Geburtstagsgeschenk von Mendy. Er lächelt. Wann soll ein Küchengehilfe wie er so ein elegantes Kleidungsstück tragen?
Er öffnet die Schachtel und schnuppert. Hat Mendy das Geschenk mit ihrem Parfum besprüht? Wahrscheinlich nicht, aber sie hat es bestimmt in der Hand gehalten.
Mit einem Lächeln knipst er die Lampe aus. Dannstreckt er sich vorsichtig, bis seine Füße die Wand berühren. Das Geschenk legt er neben seinen Kopf, damit er den Duft noch ein bisschen einatmen kann. Er weiß, dass eine Frau mit
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