Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)
wurde Papa bitter enttäuscht, weil aus N., wo er die besten Jahre seines Lebens hergegeben hatte, kein einziges Zeichen der Anerkennung kam. Am Ende seines »Buchs« ergeht Papa sich in ausführlichen Beschreibungen verschiedener Schränke. Er erinnert sich an die Schränke seiner Kindheit, an Schränke aus Krležas Romanen, dann an Särge (die seiner Meinung nach auch Schränke sind), und am Ende verweilt er bei seinem Regal in der Zagreber Wohnung. Aus diesem Regal quellen plötzlich Urkunden, Plaketten und Medaillen … Die Gedenkurkunde für »selbstaufopfernde Arbeit bei der Erziehung und Ausbildung junger Generationen und für die kulturell-aufklärerische Tätigkeit während des Volksbefreiungskampfes«, die Anerkennung für »selbstaufopfernde Arbeit bei der Entwicklung und Stärkung des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens«, die Urkunde »Partisanenlehrer« (»Zur Erinnerung an die Zeiten, als die Kinder das ABC vor einer Geräuschkulisse lernten: aus einer Richtung dröhnten die deutschen Bomber, aus der anderen die fliegenden Festungen der Alliierten, etwas weiter weg donnerten die Kanonen, etwas näher ratterten die Maschinengewehre. Derweil saßen die Kinder unter einem Baum, die Schiefertafel auf den Knien, den Griffel in der Hand, und lernten Buchstaben, sie lasen und rechneten unter dem wachsamen Auge des Partisanenlehrers«, erläutert Papa voll bitterer Ironie).
Eines Tages stöbere ich in diesen vergilbten Dokumenten, da sehe ich auf einem kleinen gefalteten Karton das Staatswappen, darunter meinen Namen, mir wird der Orden für Verdienste für das Volk verliehen. Offenbar hatte ich für das Volk etwas so Bedeutendes und Nützliches getan, dass es mir einen Orden verlieh, und ich habe das völlig vergessen. Ich halte das Stück Papier in der Hand, in dem Augenblick taucht vor mir kurz der Schimmer eines versäumten Lebens auf. Ich öffne die Urkunde, schaue, rufe mir Dinge in Erinnerung, und auf einmal ist mir, als wäre es gestern gewesen … Ich fahre nach Zagreb und weiß nicht, warum, bin festlich gekleidet, habe sogar eine Krawatte umgebunden (eine größere Qual hätte mir kein Feind bereiten können). Im Saal, wohin man mich schickte, war alles feierlich, man sprach leise, man erzählte sich keine Witze, man wartete gespannt, und tatsächlich: der Präsident des Bundes der Volkshochschulen Kroatiens steigt auf die Bühne. In seinen Händen eine festlich gebundene Urkunde. »Die erste Ehrenurkunde für den Beitrag zur Förderung und Entwicklung der Bildung und Kultur in der Sozialistischen Republik Kroatien« wird hiermit ausgehändigt … Und da nennt er meinen Namen.
Papa gehörte zu jener Generation, die wirklich daran glaubte, eine bessere Zukunft aufzubauen. Als überzeugter Antifaschist ging er zu den Partisanen, als Sieger kehrte er aus dem Krieg zurück, landete dann aber in einem Lager für politische Gefangene. Dabei bestand seine ganze Schuld wahrscheinlich darin, dass er irgendwo öffentlich Zweifel an der Existenz stalinistischer Lager geäußert hatte. Nach der Haft baute er »mit unerschütterlichem Glauben ein besseres Morgen auf«, ging anschließend enttäuscht in Pension und schrieb seine »Bücher«.Hinter ihm formierten sich leise die, die bald alles zerstören sollten, woran Papa glaubte. Unter diesen Zerstörern waren auch Menschen aus Papas Generation – dem Ruf der Herde war nun mal schwer zu widerstehen. Als Papa alles aufgeschrieben hatte, öffnete er das Fenster, um Luft zu schnappen, und sah Trümmer vor sich. Die Zeit war zurückgedreht worden. Wieder gab es Krieg und Lager mit Stacheldrahtzäunen.
Ich fragte mich, ob überhaupt jemand Papas Aufzeichnungen lesen würde. Seine Enkel, falls er welche bekommt, werden Japanisch sprechen. Olga, die alles schon tausendmal gehört hat, ist mehr daran interessiert, wann sie endlich die Wände ihrer Wohnung weiß streichen kann. Aus dem Opfer wurde mit der Zeit ein Folterer: Papa hat Mama zu seiner Gefangenen gemacht, die er tagtäglich mit Worten auspeitscht. Ich stellte mir Papa vor, wie er die Wände der Zagreber Wohnung mit Worten voll seibert, seine letzten nutzlosen Signale aussendet, sich rechtfertigt, jammert, mit den Wänden spricht, alle ihm zugefügten Kränkungen aufzählt, Beschwerdebücher in die Luft schreibt, das erste, das zweite, das dritte, das vierte, verbittert über einen kleinen, schmutzigen menschlichen Verrat. Im gestreiften Schlafanzug, aus dem der Katheterschlauch hängt, und im
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