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Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
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Winter verschwand auf Gorgona von Zeit zu Zeit jemand, vor allem die Alten und Einsamen oder die Untergetauchten, die sich wegen Problemen mit der Justiz des Großherzogs auf der Insel versteckten, und dann hieß es, dass die Barbaresken sie verschleppt hätten, um sie als Sklaven zu verkaufen, oder dass es ein Meeresungeheuer gibt, das aus einer Grotte mitten in der Insel hervorkommt und wehrlose Menschen aufs Meer hinausschleppt. Dann gibt es noch die andere Geschichte, die aber niemand gerne erzählt, nämlich die von den menschenfressenden Räuberbanden, die den Überresten ihrer Opfer eine christliche Bestattung gönnen … Aber das war doch nur Geschwätz, |589| ich habe das nie geglaubt, denn meiner Meinung nach isst keiner freiwillig ein anderes menschliches Wesen, das ist unmöglich, vor allem es zu diesem Zweck umzubringen … entschuldigt mich bitte.«
    Der ehemalige Kommissar unterbrach seinen ohnehin unsicheren Vortrag, stürzte hinaus und entschwand unseren Blicken, doch aus dem Geräusch, das wir hörten, ließ sich leicht schließen, dass er seinen Magen erleichterte.
    In diesem Augenblick begann auch Schoppe, sich zu übergeben. Die Bezeugung übertrug sich auf Naudé, während der Bandit, unser Gefangener, zuschaute, wie hypnotisiert von der Welle des Ekels und Grauens, die uns einen nach dem anderen außer Gefecht setzte. Da kam Barbara mit trauriger Kunde.
    Kaum hatte sie die Nase in die Hütte gesteckt, verzog sich ihr Gesicht wegen des sauren Geruchs der Magenentleerungen.
    »Das Kreuz steht wirklich zwischen den Bäumen«, teilte sie uns mit. »Die Erde ist frisch umgegraben, ich habe sie mit einem Zweig durchwühlt, Gott möge mir vergeben. Dort liegen Knochen, ein zerbrochener Schädel und Rippen.«
    Dann sah die Strozzi, dass auch du dich zu übergeben begannst und betrachtete die Lache aus unverdautem Mageninhalt, die Schoppe auf Tisch und Boden verbreitet hatte. Sie stützte sich an der Wand ab, und vermutlich war dies der Moment, in der es ihr am schwersten fiel, ihre weibliche Natur zu verdrängen und nicht in jenes Schluchzen auszubrechen, das die Männer für ein Zeichen von Schwäche halten, während die Weiber es nur benutzen, ihre Seele zu erleichtern, insgeheim aber unerschütterlich bleiben wie ein Felsen, den außen Wind, Kälte und Regen peitschen und der innerlich nicht einmal zittert.
    Vielleicht war es nicht zufällig dieser Moment, als sogar die einzige Frau vorrübergehend die Waffen gestreckt hatte, den der Bandit sich aussuchte, um das Schicksal herauszufordern: Er griff nach dem Gewehr, das der ehemalige Kommissar unvorsichtigerweise an die Wand gelehnt hatte, und rannte auf die Tür zu, wobei er mich mit einem Stoß zu Fall brachte.
    Kaum war er draußen, setzten wir zur Verfolgung an, doch der gerissene Kerl, den kein Ekel vor dem Verzehr menschlichen Fleisches beschwerte, drehte sich um und gab einen Schuss ab. Wir warfen uns auf den Boden, während er wie im Flug zwischen den Baumstämmen verschwand und seine Spur sich rasch verlor.

|590| DISKURS XC
    Darin man, noch bevor man Philos Ptetès kennenlernen konnte, seinen sterblichen Überresten traurig die letzte Ehre erweisen muss.
    Barbara Strozzi hatte nicht gelogen.
    »Signor Secretarius, kommt mit und überzeugt Euch selbst«, sagtest du zu mir.
    Umgeben von bereits vollauf beschäftigten Würmen und Ameisen fanden wir Reste von Knochen, Innereien und einen bis zur Unkenntlichkeit zertrümmerten Schädel.
    »Bestien. Ihr Nazarener seid nichts als Bestien. Feine Bräuche gibt es hier auf Gorgona«, brummte Kemal, und niemand hatte Lust oder den Mut, ihm zu widersprechen: Aus seiner Sicht waren es unsere Leute, die Philos Ptetès, unseren heroischen Mönch, getötet, zerteilt, gekocht und gegessen hatten.
    Immerhin hatte jeder von uns sich Hände, Mund und Eingeweide mit dem Fleisch eines armen Unschuldigen besudelt, und ich glaube, keiner der Anwesenden wird das Grauen dieser tragischen, ekelerregenden Entdeckung jemals vergessen. Von Zeit zu Zeit ging Naudé beiseite, um sich fern von der Gruppe erneut zu übergeben, und er kehrte kurzatmig, gelb im Gesicht, mit dunkel umschatteten Augen, eingefallenen Wangen und einem Schweißfilm auf der Stirn zurück.
    »Und wo mögen die Sachen des Mönchs jetzt sein?«, fragte Schoppe, der sich bis zu den Zehen ausgekotzt hatte und dessen Gesichtsfarbe nun an das Fell einer toten Ratte erinnerte. Unvermindert groß aber war seine Begierde, den Schatz des Mönches an sich zu

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