Das Nazaret-Projekt
der in auffälliger Weise die Zufahrt zur Anlegestelle der Fährschiffe nach Korsika und Sardinien behinderte und dessen Herkunft bis jetzt nicht ermittelt werden konnte. Bei der näheren Untersuchung des Irrläufers durch Zoll-, Polizei- und Hafenbehörde entdeckten die Beamten im Inneren des Containers das fachmännisch verpackte und gesicherte Behältnis des vor einigen Monaten unter mysteriösen Umständen in Turin entwendeten, angeblichen Leichentuches des Jesus Christus. Eine erste Inaugenscheinnahme durch Sachverständige des Vatikans erbrachte zunächst keine Hinweise auf eine ernsthafte Beschädigung desselben. Eine genauere Untersuchung findet zur Zeit durch Spezialisten für Spurensicherung des kriminaltechnischen Institutes in Mailand statt, bevor die Reliquie endgültig dem Klerus in Turin zurückgegeben wird. Zu den religiös begründeten Motiven, die angeblich hinter diesem logistischen Husarenstück stehen, lehnte der Sprecher des Heiligen Stuhls in Rom, Kardinal Ägidius Katzmeier, allerdings weiterhin jede Stellungnahme ab.
*
Keine fünf Minuten später vibrierte das unregistrierte Handy in der Jackentasche eines unrasierten Mannes mit müden Augen, zerknittertem Anzug und speckigem Gangsterhut, der ganz zufällig an der Bar einer schäbigen, lärmigen aber gut besuchten Cafeteria im Hafengelände von Genua herumhing und gerade die Übertragung eines Fußballspiels im Fernsehen verfolgte. Die Stimme des Reporters hatte Mühe, sich gegen die wummernde Jukebox und die fauchenden Laserkanonen und Neutronenbomben der Videospielautomaten neben dem Eingang zu behaupten.
Nick Valetta wirkte wie ein italienischer Schriftsteller mit einem kleinen Alkoholproblem, der sich aus unerfindlichen Gründen wie die Figur des abgehalfterten, amerikanischen Privatdetektivs aus den Kriminalromanen von Raimond Chandler verkleidet hatte. Der erste Eindruck täuschte allerdings gewaltig, denn dieser Humphrey-Bogard-Verehrer war ein hartgesottener Unterwelt-Söldner und – einmal von der Kette gelassen – ein nur schwer abzuschüttelnder Bluthund, der grundsätzlich nichts dem Zufall überließ und sich durch Zuverlässigkeit, Gründlichkeit, Nüchternheit, kalte Intelligenz, Instinkt und Improvisationsvermögen deutlich von seiner einschlägigen, meist recht schmalspurigen Konkurrenz mit kurzem Verstand und geringer Bildung aus untersten, sozialen Schichten unterschied.
»Si, pronto?«
»Ah, guten Abend, Signore, hier spricht DiSalvo! Wie geht es Ihnen, Verehrtester? Was macht die Poesie?«
»Danke der Nachfrage, es geht mir gut. Und die Poesie – nun, ich schreibe immer noch dieselben Geschichten.«
»Freut mich zu hören! Talente muss man pflegen und fördern, sage ich immer, also habe ich gleich an Sie gedacht. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie für mich wieder einige diskrete, journalistische Recherchen anstellen könnten. Wie sieht es aus, haben Sie Zeit für mich?«
»Für Sie habe ich immer Zeit, Commendatore, und natürlich helfe ich Ihnen gerne. Wo und wann sollen wir uns treffen?«
»Es ist gar nicht notwendig, dass wir uns verabreden! Die Angelegenheit ist weder besonders heikel noch in irgendeiner Weise delikat! Es geht vorerst nur darum, unauffällig den Aufenthaltsort einer relativ bekannten Unternehmerpersönlichkeit des globalen Wirtschaftslebens ausfindig zu machen, sie eventuell auch über einen gewissen Zeitraum hinweg zu beobachten und daraus eine Art geografisches Bewegungsprofil zu erstellen. Haben Sie etwas zum Schreiben zur Hand?«
»Natürlich! Einen Augenblick!«
Nick Valetta tat so, als würde er mitschreiben; in Wahrheit memorierte er die privaten und geschäftlichen Adressen möglicher Aufenthaltsorte des Medientycoons Nathan Brock, die ihm Pietro DiSalvo übermittelte.
Er hatte gerade sein Handy eingesteckt und war im Begriff, vom Barhocker zu rutschen, als plötzlich die Türe zum Café geöffnet wurde und sechs Männer herein kamen, die wie Hafenarbeiter oder Matrosen verschiedener Nationalitäten aussahen. Der Laden war schon ziemlich voll und niemand schenkte den Neuankömmlingen besondere Aufmerksamkeit, mit Ausnahme von Nick Valetta, für den erhöhte Wachsamkeit gegenüber seiner Umgebung zum täglichen Handwerk gehörte. Er sah und witterte und sein verlässlicher Instinkt löste irgendwo unter dem abgeschabten Hut ein Warnsignal aus. Nick schob sich unauffällig dessen Krempe tiefer ins Gesicht und drehte sich wieder zur Theke, wo er die Männer in der fleckigen
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