Das Paradies
weshalb. Amy erkannte, daß auf seinem Leben etwas lastete, und er bat stumm, von dieser Last befreit zu werden. Das verstand sie gut.
Leise sagte sie: »Du und ich, wir haben aus einem bestimmten Grund geheiratet. Du erinnerst dich doch? Wir haben nicht geheiratet, weil wir uns liebten oder die Absicht hatten, eine Familie zu gründen. Wir wollten meine Ausweisung verhindern. Das ist uns gelungen. Jetzt hat sich die Lage verändert, und das Unglück ist ein Zeichen Gottes, daß der Zeitpunkt gekommen ist, um uns zu trennen.«
Als er protestierte, tat er es ohne rechte Überzeugung, und Amy fuhr fort: »Ich bin der Meinung, mein Schicksal sind weder Kinder noch eine Ehe, denn Gott hat mir meine Kinder genommen. Ich weiß nicht, was mir das Leben noch bringen wird. Aber ich gebe mich in SEINE Hände, und ER wird mir den richtigen Weg zeigen,
inschallah
.«
»Ich verstehe, Amy«, murmelte Greg. »Sobald du wieder gesund bist und aus dem Krankenhaus entlassen wirst, ziehe ich aus. Die Wohnung gehört dir.«
Sie hatte immer nur ihr gehört. Greg war nicht mehr als ein Besucher gewesen. »Wir werden noch darüber reden, wenn es mir besser geht. Jetzt bin ich zu müde dazu.«
Er zögerte. Seine Verwirrung lähmte ihn, fesselte ihn an das Bett. Er konnte einfach das Geschehene nicht verstehen. Ein Baby – sein Kind – würde nie geboren werden. Sollte er etwas empfinden? Gab es bestimmte Worte, die er aussprechen müßte? Er suchte in seinem Innern nach einem verborgenen Programm, nach Mitgefühl und Trost. Seine Mutter hatte vermutlich vergessen, es ihm vor vielen Jahren zu vermitteln, als er dafür offen gewesen wäre. Jetzt fand er nichts.
Er beugte sich über Amy und küßte sie auf die Stirn. »Hier sind die Sachen, die ich dir mitbringen sollte«, sagte er.
Als er leise gegangen war, öffnete sie die Tasche. Über ihren Toilettensachen fand sie das Buch
Wenn man Arzt sein muß,
das Connor ihr aus Malaysia geschickt hatte. Sie schlug es auf und las, was er auf die Innenseite geschrieben hatte: »Amy, wenn du einmal unbedingt ein Gebet brauchst, denke an deinen kleinen Nasenmuskel.« Unterschrieben hatte er mit: »Dein Declan.« Sie lächelte.
Dann griff sie noch einmal in die Tasche und holte den in Leder gebundenen Koran heraus, den sie aus Ägypten mitgebracht hatte. Er war auf arabisch, und sie hatte lange nicht mehr darin gelesen.
Jetzt tat sie es.
20 . Kapitel
Jakob war ihr unheimlich. Genauer gesagt war ihr der Gedanke unheimlich, daß sie sich in ihn verlieben und daß er sie ebenfalls lieben könnte.
Jasmina hatte sich sehr bemüht, gegen ihre Gefühle anzukämpfen. Sie probte stundenlang für ihre Show, konzentrierte sich auf die Choreographie, auf die Kostüme und füllte ihre Tage so mit Arbeit aus, daß sie abends erschöpft ins Bett fiel und in einen tiefen, traumlosen Schlaf sank, in den nicht einmal Jakob Mansour eindringen konnte. Aber beim Aufwachen dachte sie Morgen für Morgen als erstes an ihn. Vor ihren Augen stand das Bild eines bescheidenen, etwas beleibten Mannes mit einer Goldbrille und schütterem Haar. Und abends, wenn sie im Hilton tanzte und lächelnd den Applaus entgegennahm, suchte sie ihn im Publikum, bis sie Mansour irgendwo im Hintergrund entdeckte. Er stand nicht unter den Leuchtern und inmitten der begeisterten Menge, sondern im Halbdunkel und beobachtete sie regungslos.
Empfindet er das gleiche für mich wie ich für ihn, fragte sich Jasmina. Bestimmt war sie ihm nicht gleichgültig, denn weshalb wäre er sonst so regelmäßig unter den Zuschauern gewesen? Aber bisher war er nicht ein einziges Mal hinter die Bühne gekommen, hatte ihr keine Blumen geschickt oder ihr, wie die anderen Männer es taten, Geldscheine zugeworfen.
Wie auch immer, seit der ersten Begegnung in der Redaktion seiner Zeitung hatte Jasmina kein Wort mit Mansour gewechselt.
Sie wußte nichts über ihn. Der altmodische Anzug, den er jedesmal trug, wenn er zu einer Vorstellung kam, und die Tatsache, daß sich seine Zeitung ausschließlich durch Spenden über Wasser hielt, machten deutlich, daß er nicht gerade wohlhabend war. Sie wußte auch nicht, ob er Frau und Familie hatte. Sie wollte es nicht wissen, da sie in der Hoffnung lebte, ihre Verliebtheit werde sich legen. Deshalb unternahm sie bewußt keinen Versuch, etwas über ihn herauszufinden. Trotzdem mußte sie sich eingestehen, daß ihre Verliebtheit nicht abnahm, sondern zunahm.
Im Laufe der Jahre hatte Jasmina mit ihrer eisernen
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