Das Paradies
Stand eines Falafel-Händlers und einem Eselskarren mit Orangen. Jasmina zögerte, bevor sie ausstieg.
Sie sagte sich, ich tue es für Dahiba. Sie hatte Dahibas neuesten Essay in ihrer Handtasche und wollte ihn Jakob Mansour zur Veröffentlichung anbieten. Sie ging um der sozialen Gerechtigkeit und Reform willen zu ihm.
Ich will meinen unterdrückten Schwestern helfen.
Als sie jedoch ihr Make-up ein letztes Mal überprüfte und spürte, daß ihr Herz wie rasend klopfte, mußte sich Jasmina eingestehen, daß sie aus sehr eigennützigen Motiven angeboten hatte, Dahibas Artikel Mansour persönlich zu überbringen.
Radwan öffnete die Wagentür. Die Menschen auf der Straße blieben stehen und sahen neugierig zu, wie Jasmina ausstieg. Sie bat ihren Leibwächter, bei Zeinab am Wagen zu bleiben. Radwan runzelte die Stirn, aber er fügte sich. Jasmina wußte, ihm war es nicht geheuer, daß sie ohne Begleitung in diese Gasse ging. Er verschränkte die muskulösen Arme, lehnte sich an den Wagen und sah ihr nach. Jasmina fiel in diesem Viertel besonders auf. Sie war eine große, elegant gekleidete moderne Frau in Schuhen mit hohen Absätzen, sie hatte die Lippen rot geschminkt und die dichten, schwarzen Haare nur mit einer Spange aufgesteckt. Kein Wunder, daß sie die Blicke von Männern und Frauen gleichermaßen auf sich zog.
Das große Fenster der Redaktion hatte immer noch ein Loch in der Scheibe, das mit Pappe verklebt war. Jasmina stellte betroffen fest, daß auch die Tür aus den Angeln gerissen worden war. Beim Eintreten bot sich ihr ein Bild der Verwüstung. Jemand schien sich mit einer Axt über die Schreibtische hergemacht zu haben. Überall lagen Papiere auf dem Fußboden, über die man rote Farbe geschüttet hatte.
Sie fand Jakob im Hinterzimmer, wo er durchgeweichte Blätter sortierte. »
Bismillah
!« sagte sie. »Gott sei Dank, man hat Sie verschont!«
Er hob den Kopf. »Jasmina Raschid!«
»Wer hat das getan? Waren es die Christen?«
Er erwiderte achselzuckend: »Möglicherweise. Beide Seiten würden mich gern zum Schweigen bringen. Und wie es aussieht, ist es ihnen diesmal zumindest für eine Weile gelungen. Sie haben unsere Akten vernichtet, die Schreibmaschinen gestohlen und alles kurz und klein geschlagen.«
Jasmina fühlte, wie der Zorn in ihr aufstieg. Zuerst Hakim und nun Jakob. Sie würde Zeinab auf keinen Fall erlauben, Angelina und ihre christliche Familie zu besuchen.
»Vielleicht sollten Sie Ihre Zeitung einige Zeit nicht erscheinen lassen«, sagte Jasmina besorgt. »Ihr Leben ist in Gefahr. Sie müssen an Ihre Familie denken – an Ihre Frau und Ihre Kinder.«
»Ich habe keine Kinder«, erwiderte er lächelnd. Er sah sie an und rückte die Brille zurecht, als traue er seinen Augen nicht. »Ich bin nicht verheiratet.«
Jasmina drehte schnell den Kopf zur Seite, so daß es aussah, als betrachte sie das Photo von Präsident Sadat an der Wand.
Bismillah,
dachte sie, Gottes Wege sind wunderbar und unergründlich! Hatte sie nicht noch im Wagen gedacht: Zeinab braucht einen Vater?
Sie blickte wieder auf Mansour und stellte fest, daß an seinem Hemd der Kragenknopf fehlte. Er war mit Sicherheit keiner der reichen Geschäftsmänner und saudischen Prinzen, die zu ihrer Show kamen und Jasmina wie ein Kunstobjekt verehrten.
Könnte ich einen solchen Mann heiraten?
Warum nicht?
»Ich werde nicht aufgeben«, sagte Mansour. »Ich liebe dieses Land. Ägypten war einmal groß. Es kann wieder groß werden.« Er schüttelte nachdenklich den Kopf. »Wenn Sie ein ungezogenes Kind hätten, würden Sie es erziehen, nicht wahr? Sie würden es nicht aufgeben, selbst wenn sich das Kind gegen Sie stellen würde, oder?« Er hob einen Stuhl auf und wollte sie auffordern, sich zu setzen. Als er sah, daß ein Bein abgebrochen war, ließ er ihn wieder auf den Boden fallen. »Ich bin Journalist«, fuhr er fort und sah sich nach einer anderen Sitzgelegenheit für sie um. »Ich habe einige Zeit bei den großen Zeitungen gearbeitet. Aber dort hat man mir vorgesagt, was ich schreiben sollte. Das konnte ich vor meinem Gewissen nicht verantworten. Es gibt Dinge, die gesagt werden müssen.« Er musterte sie im gedämpften Licht, das aus dem vorderen Raum drang. »Sie verstehen das. Sie und Ihre Tante waren gezwungen, ihre Gedanken im Libanon zu veröffentlichen. Aber als Ägypter werde ich meine Arbeiten in Ägypten veröffentlichen.«
Sie empfand in dem kleinen Raum die Intimität der körperlichen Nähe zu ihm
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