Das Paradies
zu ihm aufnehmen, sein Leben nicht durcheinanderbringen oder ihm Kummer oder Scham verursachen. Mohammed war inzwischen ein erwachsener Mann. Den kleinen Jungen hatte Amira die vielen Jahre im Herzen getragen, aber von dem Mann, der er jetzt sein mußte, konnte sie sich kein Bild machen. War er wie Omar? War er verwöhnt und egoistisch? Mohammed war auch ein Teil von ihr, ein Teil von Alice.
Um Jamal sagte plötzlich ernst: »Mit Verlaub, Sajjida, Sie sind die ganze Zeit mit dem Doktor zusammen. Eine unverheiratete Frau und ein Mann, das ist auf die Dauer nicht gut.«
»Da müssen Sie sich keine Sorgen machen«, antwortete Amira, denn in Wirklichkeit waren sie und Declan nur selten allein oder überhaupt zusammen. Wann immer sie in ein Dorf kamen und die Gastfreundschaft der Fellachen in Anspruch nahmen, wurden Amira und Declan getrennt. Sie saß bei den Frauen, er bei den Männern. Selbstverständlich wurde Amira für die Nacht in einem anderen Haus als Declan untergebracht. Die einzigen Gelegenheiten, an denen sie wirklich beisammen waren, so nahe beisammen, daß sie sich berührten, waren die Fahrten im Geländewagen, wenn sie über schlechte Straßen oder zwischen Baumwoll- und Zuckerrohrfeldern auf den Lehmwegen zum nächsten Dorf holperten.
Amira wünschte den Frauen
»Mulid mubarak aleikum«,
einen fröhlichen Geburtstag des Propheten, und die jungen Frauen verließen den Platz so schnell, wie sie sich vorher eingefunden hatten. Sie verschwanden mit ihren Babys auf dem Arm oder auf dem Rücken und liefen mit den kleinen Kindern an der Hand in die engen Gassen. Die älteren Frauen mit ihren schwarzen Schleiern und Schals suchten sich einen Platz im Schatten, aßen Nüsse, schwiegen nachdenklich oder tauschten ihre Gedanken und Ansichten aus. Für sie verging die Zeit bis zum abendlichen Fest im Rhythmus ihres Lebens – langsam, aber unaufhaltsam. Amira blieb allein zurück. Sie verstaute alles in ihrer Arzttasche und schob auch die Erinnerungen beiseite.
Sie blickte über den Platz und sah Declans Augen auf sich gerichtet.
Als ihm bewußt wurde, daß er Amira beobachtet hatte, drehte er sich schnell um, klappte die Arzttasche zu und sagte zu den Männern vor dem Kaffeehaus: »Also dann bis zum Fest heute abend,
inschallah
.«
Er wollte gerade gehen, als ihm aus der Gruppe der Umstehenden ein Fellache in einer zerlumpten Galabija in den Weg trat. Der Mann hatte einen großen altägyptischen Skarabäus in der Hand. »Den verkaufe ich Ihnen, Sajjid«, sagte er fröhlich. »Er ist sehr alt. Viertausend Jahre. Ich kenne das Grab, wo man ihn gefunden hat. Für Sie kostet er nur fünfzig Pfund.«
»Tut mir leid, mein Freund. Alte Dinge interessieren mich nicht.«
»Er ist brandneu!« rief der Fellache und hielt ihm den Skarabäus noch einmal hin. »Ich kenne den Mann, der ihn gemacht hat. Es ist der beste Handwerker in ganz Ägypten. Dreißig Pfund, Sajjid.«
Declan lachte und ging kopfschüttelnd über den Platz. Auf halbem Weg traf er Amira. »Ich habe Hadji Tajeb versprochen, ihn zum Friedhof zu fahren«, sagte er. »Er will vor dem Fest Opfergaben am Grab seines Vaters niederlegen. Außerdem lebt dort in einer Höhle ganz in der Nähe ein Einsiedler. Hadji Tajeb bringt ihm wie üblich aus dem Dorf etwas zu essen. Soll ich Sie am Konvent absetzen?«
Amira übernachtete als Gast im Konvent der katholischen Nonnen, während Declan auf der anderen Seite des Dorfes im Haus des Imam untergebracht war.
Das Fest würde bald beginnen. Amiras Platz war bei der Gruppe der Frauen, Declans Platz bei den Männern. Wie üblich würden sie voneinander getrennt sein. Amira freute sich über die Gelegenheit, noch ein wenig mit Connor zusammenzusein und sagte fröhlich: »Wenn Sie nichts dagegen haben, komme ich mit. Man hat mir gesagt, daß es in der Nähe des Friedhofs einen alten Tempel gibt. Für die Dorfbewohner ist es ein ganz besonderer Platz.«
Der Geländewagen schaukelte über ausgefahrene Wege, bis die Felder und Lehmhäuser zurückblieben und die weite Wüste vor ihnen lag. Hadji Tajeb saß zwischen Amira und Declan. Er hielt sich am Armaturenbrett fest und wies ihnen den Weg. Die Abendsonne schien ihnen in die Augen, ein Feuerball am blassen wolkenlosen Himmel, der die Wüste in satte Töne von Gelb und Orange tauchte, die von den langen schwarzen Schatten der Felsen und Steine durchschnitten wurden.
Im Westen vor ihnen lag etwas, das wie ein kleines Dorf aussah. Aber beim Näherkommen hörten sie
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