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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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hindurch, stürzte einen Wasserfall hinunter und landete in einer schwarzen Lagune. Sie schnellte an die Oberfläche, schnappte nach Luft und schwamm zum Rand, holte tief Atem und wartete, bis sich ihre Augen an das diffuse Licht in dieser geräumigen Höhle gewöhnten, die nach obenhin eine Kuppel bildete.
    Als sie sich beruhigt hatte und wieder gleichmäßig atmete, stemmte sie sich aus dem Wasser. Leicht schwankend stand sie auf und nahm weitere Einzelheiten wahr: Felswände, ein kalter Lehmboden, kegelförmige Stalagmiten, die sich herabhängenden Stalaktiten entgegenreckten. Das trübe Sonnenlicht schien von oben durch eine Öffnung in der Kuppel einzufallen und erhellte die kalte Lagune, den Wasserfall und …
    Tonina riss die Augen auf. Auf dem Boden, genau unter dem Loch in der Decke befand sich, in Vierecke unterteilt, ein satt grünender und blühender Garten. Da gab es Tomaten, Beerensträucher, Geißblatt. Um Gitter und Spaliere rankten blühende Kletterpflanzen. An der hinteren Wand schien ein Schlafbereich eingerichtet zu sein, mit Matten und Decken und einem kleinen Altar. Eine Ecke, in der sich eine rußgeschwärzte Feuerstelle und Reihen von Kalebassen und Tonschüsseln befanden, deutete darauf hin, dass hier gekocht wurde.
    Als sie ein unterdrücktes Keuchen hörte und sich umdrehte, meinte Tonina, eine Erscheinung zu sehen. Spontan machte sie ein Schutzzeichen, um dann zu erkennen, dass ihr Gegenüber eine Frau war, die sie mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen ansah.
    Eine Weile starrten sich die beiden durch die von Staubpartikeln flirrenden Lichtstrahlen an. Über das Rauschen des Wasserfalls hinweg meinte Tonina den Ruf eines Vogels zu vernehmen, konnte aber nicht den Blick von der ganz in Weiß gekleideten Frau reißen. Um die achtzig Jahre alt schien sie zu sein. Ihr langes weißes Gewand war zwar zerschlissen und ausgefranst, aber fleckenlos, und die beiden Zöpfe, zu denen ihr schlohweißes Haar geflochten war, reichten ihr weit über die Taille hinunter. Auf Tonina wirkte sie, als hätte sie nicht unendliche Jahre in einer Höhle verbracht, sondern wäre die Hausherrin einer eleganten Villa in einer Maya-Stadt.
    »Bist du ein Geist?«, durchbrach die alte Frau schließlich das Schweigen. Sie bediente sich der Sprache der Maya, und ihre Stimme war sanft und warm.
    Tonina fiel es schwer zu antworten. Wie sprach man mit einer Göttin? »Nein.«
    »Aber … dein Gesicht … «
    Tonina verstand. Ihre Bemalung musste verlaufen sein, und ihr Gesicht war offenbar weiß verschmiert. »Ich bin gekommen, um Euch zu befreien.«
    Wieder ein leises Ringen nach Luft. »Wirklich?«
    Tonina nickte. Aus ihrem Haar und ihren Kleidern tropfte es auf den Boden der Höhle. »Meine Freunde stehen bereit, Euch zu retten.«
    Weinend sank die Frau auf die Knie. »Ich warte schon so lange«, schluchzte sie in die vors Gesicht geschlagenen Hände.
    Tonina ging spontan auf sie zu. Durfte sie das tun? Dann legte sie ihr unbeholfen einen Arm um die schmalen Schultern. Wie knochig und zart die Göttin war!
    Als die Frau ihr zerfurchtes, vom Alter gezeichnetes Gesicht hob, musste Tonina unwillkürlich an H’meen denken. »Ist Cheveyo mitgekommen?«, fragte die Greisin. »Cheveyo?«
    »Hat dich etwa der König geschickt?«
    »Welcher König?«
    »Pac Kinnich, der Throninhaber.«
    Tonina und ihre Leute hatten in Erfahrung gebracht, dass das nahe gelegene Palenque seit langem unbewohnt war. »Es gibt keinen König«, sagte sie leise und überlegte bereits, wie sie aus dieser Höhle herauskommen sollten.
    Die alte Frau betrachtete ihre fleckigen Hände, strich sich über das lange weiße Haar. »Ich bin so lange Jahre schon hier unten. Wahrscheinlich ist mein geliebter Cheveyo inzwischen gestorben. Alle sind sie tot. Selbst der grausame Mann, der mich hier eingesperrt hat, dürfte längst zu Staub geworden sein. Wie heißt du, mein Kind?«
    »Tonina.«
    »Ich bin Ixchel. Die Götter mögen dich segnen, Tonina, meine Retterin. Was immer ich tun kann, um dir dies zu entgelten, werde ich tun.«
    Tonina sah sich prüfend in der Höhle um. Wie hier rauskommen? »Über den Weg, den ich gekommen bin, können wir nicht zurück«, sagte sie und deutete zum Wasserfall. »Wir müssen uns beeilen«, drängte sie, schon um zu verhindern, dass Chac wie angekündigt nachkam, wenn sie zu lange wegblieb. Er würde in dem unterirdischen Fluss niemals überleben. Als sie abermals den Lockruf eines Vogels vernahm, entdeckte sie das Tier auf

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