Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
griff meinen Arm.
»Komm, schnell raus hier!«, schrie sie.
Wir rannten aus dem Raum und dann auf die Treppe zu. Während des Laufens drehte ich mich kurz um. Hinter mir war nur Rauch zu erkennen. Julia nahm die ersten Stufen mit einem Sprung. Ich hingegen blieb stehen und beugte mich über die zerstörten Vitrinen.
»Halt – hier, nimm!«, rief ich und warf Julia, die im Laufen innegehalten hatte, das Gewehr zu.
Sie fing es sicher. »Was machst du?«
»Einen Augenblick, ich komme sofort!«, antwortete ich und stöberte in den Resten. Endlich fand ich das, was ich suchte. Nun eilte auch ich die Stufen nach oben, wo Julia auf mich gewartet hatte.
Die Tür zum Verkaufsraum stand offen. Rennend durchquerten wir das Geschäft, vorbei an Büchern, Möbeln und Lampen, und erreichten nach wenigen Augenblicken die gläserne Ausgangstür. Sie war verschlossen. Ich schaute mich um und ergriff einen antiken Schirmständer aus Messing. Julia stellte rasch das Gewehr beiseite und half mir, ihn hochzuheben. Wir schleuderten ihn mit aller Kraft gegen die Glastür, die in der Mitte klirrend zerbrach. In der Scheibe war ein großes, scharfkantiges, gezacktes Loch entstanden. Vorsichtig stieg ich hindurch und streckte dann Julia die Hand entgegen.
Sie war fast durch das Loch geklettert, als sie plötzlich innehielt. »Das Gewehr! Ich habe es vergessen!«
Rasch versuchte sie, sich umzudrehen, um danach zu greifen. Bei dieser Bewegung bohrte sich eine der Glasspitzen in ihr Bein, und sie schrie laut auf.
»Vergiss das Gewehr!«, brüllte ich und half ihr durch die Öffnung in der Glastür. Als wir beide im Freien standen, zerrte ich sie zu unserem geparkten Auto. »Wir müssen hier weg!«
»Ich kann nicht so schnell!«, erwiderte Julia und zeigte auf ihr Knie. Die Jeanshose war rund um die aufgeschlitzte Stelle bereits dunkelrot.
Ich griff unter ihre Achseln und stützte sie, während sie zum Auto humpelte. Dort angekommen, hob ich Julia auf den Beifahrersitz. Schnell stieg ich ein, startete den Motor und gab Gas. Julia, die sich in ihrem Sitz weit zurücklehnte, atmete schwer.
»Geht es?«, fragte ich besorgt.
Sie nickte. Ich sah, dass sie Schmerzen hatte.
»Was hast du ihm eigentlich ins Gesicht geworfen?«, wollte ich wissen.
»Das feine Pulver aus der Streusanddose«, antwortete sie.
»Und wie hast du das Papier angezündet?«
»Mit dem uralten Feuerzeug. Er war ja so nett, dir zu zeigen, wie das funktioniert. Das alte Papier war staubtrocken.«
Ich nickte. »Nicht schlecht!« An der nächsten Kreuzung bog ich rechts ab.
»Fahr nicht so schnell!«, bat Julia.
Ich drosselte meine Geschwindigkeit. Schweigend fuhr ich geradeaus und folgte den blauen Wegweisern, die uns zur Autobahn führten.
»Meinst du, er hätte uns tatsächlich etwas getan?«, fragte sie.
»Ich denke, ja«, antwortete ich. »Immerhin hat er uns in einen Keller gesperrt, und er hat mit einem Gewehr auf mich gezielt!«
Julia betrachtete die Wunde an ihrem Bein, die noch immer blutete.
»Brauchst du einen Arzt?«, erkundigte ich mich sorgenvoll.
»Fahr erst einmal!«, entgegnete sie.
Nach kurzer Zeit fuhr ich auf einen Parkplatz und hielt an einer etwas abgelegenen Stelle. Im Schutz einiger Bäume zog Julia ihre Jeans aus, und ich untersuchte das Bein. Die Wunde war zum Glück nicht so tief, wie ich schon befürchtet hatte. Im Kofferraum fand ich einen Verbandskasten, sodass ich ihr einen Druckverband anlegen konnte.
»Besser«, sagte sie, als ich damit fertig war.
Als ich mich gerade wieder in den Autobahnverkehr einfädelte, merkte ich, wie etwas an meinem Oberschenkel drückte. Ich hielt das Lenkrad mit einer Hand und zwängte die andere in meine Hosentasche. Schließlich zog ich zwei Gegenstände heraus und hielt sie Julia entgegen.
»Was ist das?«, fragte sie.
»Ein kleines Souvenir aus Schefflers Keller«, antwortete ich.
Julia griff danach.
50
Merseburg, 1716
Die Folterkammer befand sich nicht, wie bei anderen Kerkern, in den Kellergemäuern, sondern im Erdgeschoss des Gefängnisses. Man hatte beschlossen, dass es der Disziplin im Gefängnis nicht schaden würde, wenn die anderen Gefangenen die verzweifelten Schmerzensschreie der Gepeinigten mit anhören konnten. Auch war der Weg von der Kammer zu der Stelle im Hof, wo Strafen öffentlich vollstreckt wurden, nicht weit, was den Wachen die Arbeit erleichterte.
Orffyreus war von zwei Wächtern in die Kammer gebracht und zunächst mit einer Halsgeige versehen worden. Die
Weitere Kostenlose Bücher