Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)
Welt, als eine Aes Sedai vielen Feinden gegenüberstand, vor allem Männern, die Machtlenker waren. Es war eine seltsame Vorstellung, dass auch sie Aes Sedai genannt worden waren. Das war, als würde man einem Mann namens Cadsuane begegnen.
Die Frage war nur – der Morgen schien voller Fragen zu sein, und die Sonne hatte nicht einmal den halben Weg zum Zenit zurückgelegt –, die Frage war nur, trug das Mädchen den Schmuck wegen des Jungen oder den Asha’man? Oder wegen Cadsuane Melaidhrin? Nynaeve hatte ihre Loyalität zu dem jungen Mann aus ihrem Dorf gezeigt, aber sie hatte auch ihr Misstrauen ihm gegenüber verraten. Sie verfügte über einen Verstand, wenn sie sich entschied, ihn zu benutzen. Aber bis diese Frage beantwortet war, war es viel zu gefährlich, dem Mädchen zu vertrauen. Leider gab es heutzutage kaum etwas, das nicht gefährlich erschien.
»Jahar wird stärker«, sagte Merise unvermittelt.
Einen Augenblick lang sah Cadsuane die andere Grüne stirnrunzelnd an. Stärker? Das Hemd des jungen Mannes klebte feucht an seinem Rücken, während Lan nicht einmal in Schweiß ausgebrochen zu sein schien. Dann begriff sie. Merise sprach von der Macht. Aber Cadsuane hob nur fragend eine Braue. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich das letzte Mal eine Überraschung hatte sichtlich anmerken lassen. Vermutlich vor diesen vielen Jahren, in den Schwarzen Bergen, als sie anfing, sich den Schmuck zu verdienen, den sie heute trug.
»Zuerst glaubte ich, dass die Art, wie diese Asha’man ausgebildet werden, ihn bereits zu seiner vollen Kraft getrieben hätte«, sagte Merise und schaute auf die beiden Männer hinunter, die mit ihren Übungsschwertern kämpften. Nein; sie blickte nur auf Jahar. Es war nur ein leichtes Zusammenkneifen der Augen, aber sie reservierte ihr Stirnrunzeln für jene, die es sehen und ihr Missfallen erkennen konnten. »In Shadar Logoth dachte ich, ich würde es mir einbilden. Vor drei oder vier Tagen war ich halb davon überzeugt, dass ich mich geirrt hatte. Jetzt bin ich sicher, dass es so ist. Wenn Männer in Schüben an Stärke gewinnen, kann keiner sagen, wie stark er werden wird.«
Natürlich sprach sie ihre offensichtliche Sorge nicht aus: dass er stärker als sie werden würde. So etwas zu sagen wäre auf vielerlei Weise undenkbar gewesen, und auch wenn sie sich irgendwie daran gewöhnt hatte, das Undenkbare zu tun – die meisten Schwestern wären bei der Vorstellung, mit einem Mann, der die Macht lenken konnte, den Bund einzugehen, in Ohnmacht gefallen –, bereitete es ihr stets Unbehagen, es auszusprechen. Cadsuane hatte damit kein Problem, aber sie hielt ihre Stimme ausdruckslos. Beim Licht, sie hasste es, taktvoll sein zu müssen. Das heißt, sie hasste zumindest die Notwendigkeit.
»Merise, er scheint zufrieden zu sein.« Merises Behüter schienen immer zufrieden zu sein; sie hatte sie gut im Griff.
»Er ist voller Zorn …« Sie berührte die Schläfe, als wollte sie das Bündel an Emotionen betasten, das sie durch den Bund fühlte. Sie war wirklich aufgebracht! »Keine Wut. Frustration.« Sie griff in ihre grüne Gürteltasche aus Leder und holte eine kleine, emaillierte Anstecknadel hervor, eine gewundene Gestalt in Rot und Schwarz, die wie eine Schlange mit Beinen und einer Löwenmähne aussah. »Ich weiß nicht, wo der junge al’Thor das herhat, aber er hat es Jahar gegeben. Für einen Asha’man ist das wohl das Gleiche, als würde er die Stola erringen. Natürlich musste ich es ihm abnehmen; Jahar ist noch immer in dem Stadium, wo er lernen muss, dass er nur das annehmen kann, was ich ihm erlaube. Aber er ist wegen dieses Dings so aufgebracht … Sollte ich es ihm zurückgeben? In gewisser Weise würde es dann von meiner Hand kommen.«
Cadsuanes Brauen schoben sich nach oben, bevor sie es verhindern konnte. Merise fragte sie wegen eines ihrer Behüter nach Rat? Natürlich war sie es gewesen, die überhaupt erst den Vorschlag gemacht hatte, dem Mann auf den Zahn zu fühlen, aber dieser Grad von Intimität war … Undenkbar? Hah! »Ich bin sicher, was auch immer Ihr entscheidet, wird gut sein.«
Mit einem letzten Blick auf Nynaeve ließ sie die Frau zurück, wie sie mit dem Daumen über die Anstecknadel strich und finster in den Hof sah. Lan hatte Jahar erneut besiegt, aber der junge Mann nahm wieder Aufstellung und verlangte einen weiteren Kampf. Wie auch immer Merise sich entschied, sie hatte bereits eine Sache gelernt, die ihr nicht gefiel. Die Grenzen
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