Das Rad der Zeit 11. Das Original: Die Traumklinge (German Edition)
vielleicht auch noch einen Knochen zu brechen. Sie stieg nie auf ein Pferd, auch nicht auf Bela, ohne an gebrochene Knochen zu denken. Aber der Bursche kam mit einer schwarzen Stute mit einem Sattel mit hohem Zwiesel zurück.
»Die ist sanft?«, wollte Siuan skeptisch wissen. Das Tier bewegte sich unruhig, als wollte es gleich tanzen, und es sah schlank aus. Das sollte ein Anzeichen für Schnelligkeit sein.
»Nachtlilie ist so sanft wie Milchwasser, Aes Sedai. Gehört meiner Frau, und Nemaris ist zierlich. Sie mag kein Reittier, das lebhaft ist.«
»Wenn du es sagst«, erwiderte sie und schniefte. Ihrer Erfahrung nach waren Pferde selten sanft. Aber ihr blieb keine Wahl.
Sie nahm die Zügel und stieg unbeholfen in den Sattel, dann musste sie herumrutschen, damit sie nicht auf ihrem Umhang saß und sich nicht mit jeder Bewegung selbst halb erwürgte. Die Stute tänzelte und riss an den Zügeln. Siuan hatte es gewusst. Sie versuchte jetzt schon, ihr die Knochen zu brechen. Ein Boot hingegen – ob nun ein Ruder oder zwei, ein Boot fuhr dorthin, wo man wollte, und hielt an, wann man wollte, solange man kein völliger Idiot war, was Flut, Strömungen und den Wind anging. Aber Pferde hatten Gehirne, auch wenn sie klein waren, und das bedeutete, dass sie es sich in den Kopf setzen konnten, Zaumzeug und Zügel und die Wünsche des Reiters zu ignorieren. Daran musste man denken, wenn man sich auf ein verdammtes Pferd setzte.
»Eines noch, Aes Sedai«, sagte der Mann, während sie versuchte, eine bequemere Position zu finden. Warum schienen Sättel immer härter als Holz zu sein? »Ich würde sie an Eurer Stelle heute Nacht nur im Schritt gehen lassen. Der Wind, Ihr wisst schon, und der ganze Gestank, nun, sie könnte vielleicht einen Hauch …«
»Keine Zeit«, sagte Siuan und grub ihr die Fersen in die Seiten. Nachtlilie, die so sanft wie Milchwasser war, machte einen solchen Satz nach vorn, dass sie beinahe hinterrücks aus dem Sattel geflogen wäre. Nur der schnelle Griff nach dem Sattelknauf hielt sie oben. Sie glaubte, dass der Bursche ihr etwas nachrief, konnte sich aber nicht sicher sein. Was beim Licht war für diese Nemaris ein lebhaftes Tier? Die Stute raste aus dem Lager, als wollte sie ein Rennen gewinnen, rannte auf den untergehenden Mond und den Drachenberg zu, der sich als finsterer Dorn vor der sternenerfüllten Nacht abzeichnete.
Mit flatterndem Umhang unternahm Siuan keine Anstrengungen, sie zu bremsen, sondern trat erneut mit den Fersen zu und schlug mit den Zügeln auf den Hals der Stute, so wie sie es bei anderen gesehen hatte, wenn sie ein Pferd zu größerer Geschwindigkeit antrieben. Sie musste die Schwestern erreichen, bevor jemand etwas Unwiderrufliches tat. Ihr kamen viel zu viele Möglichkeiten in den Sinn. Die Stute galoppierte an kleinen Dickichten, winzigen Weilern und großen Bauernhöfen mit ihren von Steinmauern umgebenen Wiesen und Feldern vorbei. Beherbergt von mit Schnee bedeckten Schieferdächern und Mauern aus Stein oder Ziegeln waren die Bewohner nicht von dem Sturmwind geweckt worden; jedes Gebäude lag still im Dunkeln. Selbst die verdammten Kühe und Schafe genossen vermutlich ihre friedliche Nachtruhe. Bauern hatten immer Kühe und Schafe. Und Schweine.
Sie hüpfte auf dem harten Sattelleder auf und ab und versuchte sich über den Hals der Stute zu beugen. So wurde es gemacht; sie hatte es gesehen. Fast sofort glitt sie aus dem linken Steigbügel und rutschte beinahe auf dieser Seite vom Pferd herunter, sie schaffte es gerade noch rechtzeitig, sich den Weg zurück nach oben zu krallen und den Fuß wieder an Ort und Stelle zu platzieren. Sie musste bloß kerzengerade im Sattel sitzen, sich am Knauf festkrallen, als ginge es um ihr Leben, mit der anderen Hand die Zügel noch fester halten. Ihr flatternder Umhang zerrte unbehaglich an ihrem Hals, und sie hüpfte so hart auf und ab, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen, wenn sie den Mund im falschen Augenblick öffnete, aber sie gab nicht auf, trieb die Stute sogar noch einmal an. Beim Licht, bei Sonnenaufgang würde sie alle Knochen im Leib spüren. Und es ging weiter durch die Nacht, und jeder weit ausholende, federnde Schritt des Pferdes stauchte sie in den Sattel. Immerhin verhinderten die zusammengebissenen Zähne, dass sie gähnen konnte.
Endlich traten nach einem schmalen Streifen aus Bäumen die Pferdeleinen und Wagenreihen aus der Dunkelheit zum Vorschein, die das Aes-Sedai-Lager umringten. Mit einem erleichterten
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