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Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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können? So eine genaue Beschreibung kriegen wir nur selten. Sie
haben ja eine enorme Merkfähigkeit.«
    Sie lächelte erfreut, und er war sich sicher, dass sie
noch ganz andere Fähigkeiten hatte. Da erstaunte sie ihn erneut.
    »Ja«, sagte sie und strich mit ihrer Zunge über die
Unterlippe. »Nicht wahr, Herr Kommissar? Aber ich muss gestehen, ich hatte
lange Zeit, ihn so genau zu studieren. Schließlich habe ich zwei Jahre lang in
seiner Klasse gesessen.«
     
    Sie fragte: »Weißt du eigentlich, wo ich herkomme?«
    Und er sagte, ja. Ja, das wusste er, das hätte er von
Anfang an gewusst. Zuerst hatte der Name ihn aufhorchen lassen. Einen Tischler
namens Gleichenbach hatte er in seinem Dorf gekannt. Dann brachte die
Sekretärin des Direktors sie in seine Klasse, und da stand sie, und er schaute
sie an, und ihm stockte der Atem, und der Boden begann zu schwanken, und es zog
ihm die Füße weg. Ob die Sekretärin ihn wohl kurz vertreten könne, wirklich nur
kurz, sie schrieben ohnehin gerade eine Klassenarbeit, es sei also nichts
weiter zu tun, als er müsse rasch, er hätte etwas ... Dann ging
er hinaus, achtete nicht auf den verwunderten Blick der Sekretärin, nicht auf
das Kichern der Schüler, begann zu rennen, fiel in seinen üblichen Laufschritt,
das holte ihn zurück auf den Boden. Als er die Lehrertoilette erreichte,
sperrte er sich in eine Kabine, lehnte sich an die Wand, versuchte sein Zittern
zu stoppen, versuchte zu atmen, zog zwei Kippen tief durch, bis seine Lungen
brannten. War ihm ein Gespenst begegnet?
    Es war viel einfacher, er fand das bald heraus. Sie war
die Tochter des Tischlers aus seinem Dorf. Was aber mehr zählte: Sie war
Judiths Tochter.
    »Alles in Ordnung?«, fragte die Sekretärin spöttisch, als
er wieder in die Klasse gekommen war. »Ist Ihnen ein Gespenst begegnet?«   Er
lachte ein wenig gequält »Nein, nein, keine Sorge, mir ist nur gerade
eingefallen...«
    Sie schüttelte den Kopf und ging.
    Die Klasse schrieb an einer Chemiearbeit, Judiths Tochter
schaute ihn an mit Judiths Augen aus Judiths Gesicht.
    Er räusperte sich. »Sie heißen?«, fragte er.
»Gleichenbach«, sagte sie. »Marie.« Und lächelte.
    Sie machte sich an ihn heran. Sie spürte, dass etwas gehen
würde. Sie spürte so etwas immer.
    Ihn erbitterte das ein bisschen. Bisher hatte er es nicht
nötig gehabt, für derlei Dinge bezahlen zu müssen. Aber sie war Judiths Tochter.
Das änderte alles. Sie meldete sich zu unmöglichen Zeiten von unmöglichen Orten
und bestellte ihn zu sich. »So mache ich das eben«, sagte sie und lächelte ein
bisschen. »So mache ich das mit allen.«
    Nicht einmal das verhehlte sie, dass er nicht der Einzige
war. Mit sanfter Stimme erzählte sie, wie und was sie mit den anderen trieb und
treiben würde und schon getrieben hatte, während seine Kehle rau wurde und er
an ihr ertrank. Er verlor die Kontrolle, während sie ihn von Höhepunkt zu
Höhepunkt jagte, ein Tiger, den seine Beute hetzte. Oft verwischte ihm die Zeit
und Judith und Marie wurden eins.
    Nie hätte er, wenn einer es ihm gesagt hätte, geglaubt,
dass er sehenden Auges in sein Unglück rennen würde.
    Sie tranken Champagner, der prickelte in der Kehle. Den
Fisch rührte sie kaum an.
    »Hör zu«, sagte sie. »Ich habe mich verliebt.«
    »In mich?«, fragte er. »Das ist gut.«
    »Nein«, sagte sie. »Nein, nicht in dich. Aber das weißt
du.«
    Er schaute sie finster an. Wir werden das Problem lösen,
dachte er.
    Sie fuhr ihm durch die dunklen Haare. »Du bist klug und
schön«, sagte sie. Sein Herz zuckte, es klang nach Abschied. Wir werden das
Problem lösen, dachte er.
    Vor dem Dessert griff er zwischen ihre Beine, glitt mit
seiner Zunge ihr Schlüsselbein entlang, ihren Hals. »Du schmeckst so gut«,
flüsterte er.
    Zuerst zögerte sie, dann ließ sie ihn gewähren. »Es kostet
heute nichts«, sagte sie.
    »Weil es das letzte Mal ist. Weil ich glücklich bin.«
    Er nickte, fühlte sich gedemütigt, aber nickte. Sie
tranken Champagner, der prickelte in der Kehle.
    Sie rannte hinaus in den Regen, streckte die Arme aus,
sagte: »Fahr mich nach Berlin.«
    »Wann?«, fragte er. »Jetzt?«
    »Ja!«, rief sie, hinein in den Regen. »Jetzt, auf der
Stelle, und morgen früh sind  wir da!«
    Und er sagte: »Ja. Ja, ich fahr dich nach Berlin. Ich fahr
dich überallhin. Wohin du willst.«
    Er hatte es für ein gutes Zeichen gehalten. Es hatte seine
Hoffnung genährt. Er war beschwipst genug. Es war nicht bei einer

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