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Das Rosenhaus

Das Rosenhaus

Titel: Das Rosenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Harvey
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flambieren?«
    »Einen für mich, einen fürs Holz.«
    Sanft nahm er ihr die Flasche ab, führte sie zum Tisch und drückte
sie auf einen der Stühle herunter.
    Kaum saß sie, vergrub sie das Gesicht in den Händen und stöhnte.
Lang und gequält.
    »Warten Sie da.«
    Lily wusste nicht, ob sie ohnmächtig geworden oder kurz
eingeschlafen war, aber als sie die Augen wieder öffnete, stand ein Tablett mit
Kaffee und Keksen vor ihr auf dem Tisch, und Nathan hatte einen Eimer Wasser in
der Hand.
    »Wollen Sie den über mir oder über dem Feuer ausgießen?«, fragte
Lily.
    Statt zu antworten, schüttete er das Wasser vorsichtig über die
brennenden Zweige, ging zurück in die Küche und füllte den Eimer wieder auf.
    »Kann ich den bitte leihen, wenn Sie fertig sind?«, fragte sie, als
er wieder herauskam. »Ich glaube, ich muss mich übergeben.«
    »Trinken Sie Ihren Kaffee, Lily.«
    »Trinken Sie Ihren Kaffee, Lily«, wiederholte sie und hob mit
zitternden Händen den Becher an.
    Nathan brauchte noch vier Eimer Wasser, um das Feuer unter Kontrolle
zu bringen. Lily hielt sich inzwischen an der zweiten Tasse Kaffee fest und
überlegte, ob das Zittern ihrer Hände vom Alkohol, vom Koffein oder vom
Gefühlschaos kam.
    Nathan setzte sich ihr gegenüber, stützte das Kinn auf die Hände und
sah sie eindringlich an.
    »Warum tun Sie sich das an, Lily?«, fragte er behutsam. »Ist das
Leben wirklich so schlimm?«
    Zu seinem Bedauern antwortete sie nicht, sondern schloss einfach nur
die Augen, als habe sie fürchterliche Schmerzen.
    »Na, kommen Sie schon, erzählen Sie es mir.« Er bedeckte ihre Hände
mit seinen und staunte, wie kalt sie waren. »Sie wissen doch, was meine Mutter
immer sagt, oder? Geteiltes Leid …?«
    »… ist halbes Leid«, antwortete sie brav und öffnete die Augen, als
sie seine Hände spürte.
    »Oh, da kennen Sie meine Mutter aber schlecht! So etwas
Voraussagbares würde nie über ihre Lippen kommen! Nein, Abi sagt immer:
Geteiltes Leid ist gar kein Leid! Manchmal, wenn man die Dinge ausspricht,
statt sie in einer Endlosschleife im Kopf herumsausen zu lassen, sind sie dann
gar nicht mehr so schlimm …«
    Er redete ganz leise auf sie ein und brachte sie schließlich selbst
zum Reden. Er war ein guter Zuhörer. Bei der Mutter kein Wunder.
    Sie staunte später darüber, wie sehr sie sich einem Fremden
gegenüber geöffnet hatte.
    Alles, was sie verdrängt hatte, alles, was sie fein säuberlich
weggepackt und eingeschlossen hatte, alles, was sie dennoch bedrückt hatte,
purzelte aus ihr hervor.
    Die Tränen flossen ihr in Strömen über die zarte Haut ihrer Wangen.
    Doch sie bemerkte nicht einmal, dass sie weinte.
    Nathan sah es und sagte nichts.
    Er schwieg und ließ sie reden.
    » Es war schon vor dem Unfall nicht mehr so toll
zwischen uns. «
    » Manchmal ist er mir völlig fremd. «
    » Vielleicht müsste ich mich noch mehr bemühen,
aber irgendwann hat man einfach keine Lust mehr, sich noch eine Abfuhr
einzuhandeln. «
    » Ich habe Angst vor ihm. Vor dem, was aus uns
wird. «
    » Ich hasse mich. Ich bin so unnütz. So eine
Niete. «
    » Wie kann ich bloß sagen, dass ich nicht gerne
hier bin? Sieh dir doch mal die tolle Landschaft an! «
    » Ich komme mir vor, als wäre ich im Ausland.
Irgendwo, wo ich die Sprache nicht spreche. «
    » Ich weiß nicht, wie ich dieses Haus in ein
Zuhause verwandeln soll. In mein Zuhause. «
    Lily redete und redete. Als sie fertig war, überraschte
Nathan sich selbst damit, dass er zu ihr ging und sie in den Arm nahm. Und sie
war überrascht, dass sie es zuließ. Dann plötzlich war es ihr peinlich, dass
sie sich so hatte gehen lassen. Die Intimität, die zwischen ihnen entstanden
war, der Körperkontakt … Lily konnte Nathan kaum mehr in die Augen sehen.
    Als sie anfing, sich zu entschuldigen, schloss er sie nur noch mehr
ins Herz, doch er hielt es jetzt für das Beste, das Thema zu wechseln.
    Er schwieg eine Weile, dann nickte er in Richtung Haus und sagte:
»Ich kann mich noch gut an den alten Mann erinnern, der hier gelebt hat.«
    »Wirklich?« Ihr ehrliches Interesse ermöglichte es ihr, ihm wieder
in die Augen zu sehen. »Was war er für ein Mensch?«
    »Na ja, du weißt ja, wie das ist, als Kind hält man jeden über
fünfzig, der allein in einer abgelegenen Bruchbude wohnt, für durchgeknallt
oder böse.«
    »Und, war er das? Durchgeknallt oder böse, meine ich?«
    »Nein, er war einfach nur ein liebenswerter alter Mann, der mit den
Jahren geistig etwas

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