Das Rosie-Projekt
befand ich mich in Gegenwart einer Psychologiestudentin.
»In der Schule gab es hin und wieder Probleme«, sagte ich also. »Daher der Kampfsport. Aber ich habe auch gewaltlose Techniken für den Umgang mit schwierigen gesellschaftlichen Situationen entwickelt.«
»Wie heute Abend.«
»Ich verlege mich auf die Dinge, die die Menschen amüsant finden.«
Rosie antwortete nicht. Ich erkannte dies als Therapietechnik, aber mir fiel nichts anderes ein, als den Punkt weiter auszuführen.
»Ich hatte nicht viele Freunde, praktisch null, abgesehen von meiner Schwester. Leider ist sie vor zwei Jahren aufgrund medizinischer Inkompetenz verstorben.«
»Was ist passiert?«, fragte Rosie leise.
»Eine nicht diagnostizierte Extrauterinschwangerschaft.«
»Oh, Don«, sagt Rosie voller Mitgefühl. Ich spürte, dass ich die richtige Person gewählt hatte, um mich ihr anzuvertrauen.
»Hatte sie … einen Freund?«
»Nein.« Ich ahnte ihre nächste Frage. »Wir haben nie erfahren, von wem sie schwanger war.«
»Wie hieß sie?«
Das war, oberflächlich betrachtet, eine harmlose Frage, auch wenn ich keinen Sinn darin sah, Rosie den Namen meiner Schwester mitzuteilen. Die Kennzeichnung als Schwester war eindeutig, da ich nur eine Schwester gehabt hatte. Trotzdem war es ein unangenehmes Gefühl. Ich brauchte ein paar Minuten, um den Grund zu erkennen: Obwohl es keine bewusste Entscheidung meinerseits gewesen war, hatte ich ihren Namen seit ihrem Tod nicht mehr ausgesprochen.
»Michelle«, antwortete ich. Danach sagten wir beide eine Weile nichts mehr.
Der Taxifahrer hüstelte. Ich nahm nicht an, dass er ein Bier wollte.
»Willst du mit raufkommen?«, fragte Rosie.
Ich fühlte mich überrumpelt. Das Treffen mit Bianca, das Tanzen, die Ablehnung durch Bianca, Überstimulation, Gespräche über persönliche Dinge – gerade jetzt, wo ich dachte, die Tortur sei vorbei, schien Rosie sich noch weiter unterhalten zu wollen. Ich war nicht sicher, dass ich das verkraftete.
»Es ist schon sehr spät«, sagte ich. Das war sicher eine gesellschaftlich akzeptable Weise zu sagen, dass ich nach Hause wollte.
»Die Taxigebühr ist morgens wieder niedrig.«
Wenn ich das richtig verstand, wäre ich nun hoffnungslos überfordert. Ich musste sichergehen, dass ich sie nicht falsch interpretierte.
»Soll das heißen, dass ich die Nacht über bleiben soll?«
»Vielleicht. Aber erst musst du dir meine Lebensgeschichte anhören.«
Achtung! Gefahr, Will Robinson. Nicht identifizierter Außerirdischer im Anmarsch!
, ertönte in meinem Kopf die Stimme aus der uralten Serie
Zwischen fremden Welten
. Ich spürte, wie ich in einen emotionalen Abgrund stürzte. Ich schaffte es, so weit ruhig zu bleiben, dass ich antworten konnte.
»Leider habe ich eine ganze Reihe Aktivitäten für den frühen Morgen geplant.« Routine. Normalität.
Rosie öffnete die Tür. Ich wollte, dass sie ging. Aber sie hatte noch mehr zu sagen.
»Don, darf ich dich was fragen?«
»Ja. Eine Frage.«
»Findest du mich attraktiv?«
Wie Gene mir am nächsten Tag erklärte, hatte ich die Frage falsch gedeutet. Aber er saß auch nicht nach einem Abend totaler Sinnesüberlastung mit der schönsten Frau der Welt in einem Taxi. Ich war der Meinung, ich hätte gut reagiert. Ich hatte die Fangfrage identifiziert. Ich wollte, dass Rosie mich mochte, und ich erinnerte mich an ihre leidenschaftlichen Ausführungen über Männer, die Frauen wie Objekte behandelten. Folglich war es ein Test, um zu sehen, ob ich sie als Objekt oder als Mensch wahrnahm. Die korrekte Antwort musste sich daher auf Letzteres beziehen.
»Darüber hab ich bisher nicht nachgedacht«, erklärte ich der schönsten Frau der Welt.
18
Ich schrieb Gene vom Taxi aus eine SMS . Es war 1 : 08 Uhr, aber er war zeitgleich mit uns vom Ball aufgebrochen und hatte einen weiteren Weg.
Dringend: Morgen 6 h laufen.
Gene schrieb zurück:
Sonntag um 8 : Bring Biancas Kontakt-Info
. Ich wollte auf den früheren Termin bestehen, dachte dann aber, dass ich die extra Zeit nutzen könnte, um meine Gedanken zu sortieren.
Es schien mir offensichtlich, dass Rosie mich zum Sex mit ihr eingeladen hatte. Es war richtig gewesen, die Situation zu umgehen. Wir beide hatten eine erhebliche Menge Champagner getrunken, und Alkohol ist berüchtigt dafür, unkluge Entscheidungen hinsichtlich Sex zu provozieren. Rosie kannte das perfekte Beispiel: Die zweifellos durch Alkohol hervorgerufene Entscheidung ihrer Mutter zu spontanem Sex
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