Das Rosie-Projekt
Computer stand. Darauf wirbelte ich Rosie gerade herum, und ihr Gesichtsausdruck ließ auf überdurchschnittliche Freude schließen. Ich war nicht offiziell »getagged« worden, da ich nicht bei Facebook registriert war (soziale Netzwerke interessieren mich nicht), aber unsere Namen standen als Bildunterschrift unter dem Foto:
Prof. für Genetik Don Tillman und Doktorandin der Psychologie Rosie Jarman
.
»Sei bloß still«, sagte Rosie.
»Magst du das Foto nicht?« Das schien ein schlechtes Zeichen.
»Es ist wegen Phil. Ich will nicht, dass er das sieht.«
Stefan meldete sich wieder zu Wort. »Denkst du etwa, dein Vater stöbert in seiner Freizeit in Facebook herum?«
»Warte nur, bis er anruft«, meinte Rosie. »›Wie viel verdient er?‹, »›Schläfst du mit ihm?‹, ›Wie viel Gewicht kann er stemmen?‹«
»Das sind ja wohl keine ungewöhnlichen Fragen für einen Vater, der etwas über den Mann wissen will, mit dem seine Tochter zusammen ist«, kommentierte Stefan.
»Wir sind nicht zusammen. Wir haben uns ein Taxi geteilt. Sonst nichts. Stimmt’s, Don?«
»Korrekt.«
Rosie drehte sich wieder zu Stefan. »Du kannst deine kleine Theorie also dahin stecken, wo sie reinpasst. Für immer.«
»Ich muss privat mit dir reden«, sagte ich zu Rosie.
Sie sah mir direkt ins Gesicht. »Ich denke nicht, dass wir irgendwas Privates zu besprechen hätten.«
Das erschien mir seltsam. Aber vielleicht tauschten sie und Stefan ihre Informationen auf dieselbe Weise aus wie Gene und ich. Er hatte sie immerhin zu dem Ball begleitet.
»Ich habe noch einmal über dein Angebot zum Sex nachgedacht«, sagte ich.
Stefan schlug sich eine Hand vor den Mund. Eine ziemlich lange Zeit herrschte Schweigen – ich würde sie auf sechs Sekunden schätzen.
Dann sagte Rosie: »Das war ein Witz, Don. Ein Witz.«
Das ergab für mich keinen Sinn. Ich hätte es verstanden, wenn sie ihre Meinung geändert hätte. Vielleicht war meine Antwort hinsichtlich der sexuellen Objektifizierung zu verhängnisvoll gewesen. Aber ein Witz? Sicherlich war ich zwischenmenschlichen Zeichen gegenüber nicht derart unsensibel, dass ich einen Witz nicht erkannt hätte, oder? Doch, das war ich. Auch früher schon hatte ich darin versagt, Witze zu erkennen. Ein Witz! Ich hatte mich wegen eines Witzes verrückt gemacht.
»Oh. Und wann sollen wir uns wegen des anderen Projekts wieder treffen?«
Rosie starrte auf ihre Tischplatte. »Es gibt kein anderes Projekt.«
19
Eine Woche lang tat ich mein Bestes, um zu meinem regulären Terminplan zurückzukehren. Ich nutzte die Zeit, die ich durch Evas Putzen und den Abbruch des Vaterprojekts gewann, um das Karate- und Aikido-Training nachzuholen, das ich hatte ausfallen lassen.
Sensei, Träger des fünften Dan und ein Mann, der wenig sagt, vor allem zu Schwarzgurten, nahm mich während meines Sandsack-Trainings im Dojo zur Seite.
»Etwas hat dich sehr wütend gemacht«, sagte er. Das war alles.
Er kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich mich nicht von einem Gefühl beherrschen lassen würde, sobald ich es erkannt hätte. Aber es war gut, dass er mit mir gesprochen hatte, denn meine Wut war mir nicht bewusst gewesen.
Erst war ich wütend auf Rosie, weil sie mir unerwartet etwas verweigert hatte, was ich wollte. Aber dann wurde ich wütend auf mich selbst und meine soziale Inkompetenz, die Rosie zweifellos in Verlegenheit gebracht hatte.
Ich versuchte mehrmals, Rosie zu kontaktieren, erreichte jedoch nur ihren Anrufbeantworter. Schließlich hinterließ ich eine Nachricht: »Was, wenn du an Leukämie erkrankst und nicht weißt, wen du um eine Knochenmarkstransplantation bitten sollst? Dein biologischer Vater wäre ein exzellenter Kandidat mit hoher Motivation, dir zu helfen. Der Abbruch des Vaterprojekts könnte also deinen Tod zur Folge haben. Es sind nur noch elf Kandidaten übrig.«
Sie rief nicht zurück.
»So was passiert«, sagte Claudia beim dritten Kaffeetreffen innerhalb von vier Wochen. »Du fängst was mit einer Frau an, es funktioniert nicht …«
Also das war es. Ich hatte, auf meine eigene Art, mit Rosie »etwas angefangen«.
»Was soll ich jetzt tun?«
»Das ist nicht leicht«, sagte Claudia, »aber jeder wird dir denselben Rat geben. Vergiss sie. Es wird sich was anderes ergeben.«
Claudias Logik, die auf einwandfreien theoretischen Grundlagen und reichlich professioneller Erfahrung beruhte, war meinen irrationalen Gefühlen offenkundig überlegen. Doch als ich darüber
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