Das Rosie-Projekt
nachdachte, wurde mir klar, dass sich ihr Ratschlag, und im Grunde die gesamte Fachrichtung der Psychologie, auf wissenschaftliche Studien mit normalen Menschen stützte. Mir ist wohl bewusst, dass ich einige ungewöhnliche Merkmale aufweise. War es möglich, dass Claudias Rat für mich nicht galt?
Ich beschloss einen Kompromiss. Ich würde mit dem Ehefrauprojekt fortfahren. Falls (und nur
falls
) ich nebenher Zeit übrig hätte, würde ich das Vaterprojekt weiterführen, und zwar allein. Wenn ich Rosie ein Ergebnis liefern könnte, würden wir vielleicht wieder Freunde werden.
Aufgrund des Desasters mit Bianca überarbeitete ich den Fragebogen ein weiteres Mal und fügte neue, ausschlaggebende Kriterien hinzu. Ich bezog Fragen zu Tanzen, Racketsportarten und Bridge ein, um Kandidatinnen zu eliminieren, die das Erlernen weiterer nutzloser Fähigkeiten erforderlich machten, und erhöhte den Schwierigkeitsgrad der mathematischen, physikalischen und genetischen Aufgaben. Option
(c) gelegentlich
war nun die
einzig
akzeptable Antwort auf die Frage nach dem Alkoholkonsum. Ich organisierte es so, dass die Antworten direkt zu Gene gingen, der offenbar die weitverbreitete Forschungspraxis einer Zweitverwertung der Daten betrieb. Er könnte mir Bescheid geben, falls irgendjemand meinen Kriterien entsprach. Zu hundert Prozent.
Mangels Kandidatinnen für das Ehefrauprojekt dachte ich eingehend darüber nach, wie ich weitere DNA -Proben für das Vaterprojekt gewinnen könnte.
Die Lösung fiel mir ein, während ich eine Wachtel entbeinte. Die Kandidaten waren allesamt Ärzte, die möglicherweise bereit wären, an einer genetischen Studie teilzunehmen. Ich brauchte nur eine plausible Erklärung, um an ihre DNA zu gelangen. Dank meiner Vorbereitung auf den Asperger-Vortrag hatte ich eine.
Ich zog die Liste mit den elf Namen heraus. Zwei davon waren tot, so dass neun übrig blieben, von denen sieben in Übersee lebten, was ihre Abwesenheit beim Jubiläumstreffen erklärte. Zwei jedoch wiesen hiesige Telefonnummern auf, und einer davon war der Leiter des medizinischen Forschungsinstituts meiner eigenen Universität. Ihn rief ich als Erstes an.
»Büro von Professor Lefebvre«, sagte eine Frauenstimme.
»Hier ist Professor Tillman aus dem Fachbereich Genetik. Ich würde Professor Lefebvre gern einladen, an einem Forschungsprojekt teilzunehmen.«
»Professor Lefebvre nimmt ein Sabbatjahr und weilt gerade in den USA . In zwei Wochen ist er zurück.«
»Ausgezeichnet. Das Projekt lautet
Nachweis von Markergenen für Autismus bei hochleistungsfähigen Persönlichkeiten
. Er müsste einen Fragebogen ausfüllen und eine DNA -Probe abgeben.«
Zwei Tage später hatte ich alle noch lebenden Kandidaten ausfindig gemacht und ihnen einen aus den Asperger-Recherchen entwickelten Fragebogen samt Tupfer für den Wangenabstrich geschickt. Die Fragebögen waren irrelevant, aber nötig, um die Studie legitim erscheinen zu lassen. Mein Begleitschreiben wies mich als Genetikprofessor einer angesehenen Universität aus. Bis die DNA -Proben einträfen, musste ich lebende Verwandte der zwei verstorbenen Ärzte finden.
Im Internet entdeckte ich einen Nachruf auf Dr. Gerhard von Deyn, der an einem Herzinfarkt verstorben war. Darin wurde eine Tochter erwähnt, die damals Medizin studiert hatte. Es war nicht weiter schwierig, Dr. Brigitte von Deyn zu finden, die bereitwillig an der Studie teilnahm. Einfach.
Geoffrey Case stellte eine größere Herausforderung dar. Er war ein Jahr nach dem Abschluss des Doktorstudiums verstorben. Von der Webseite des Jubiläumstreffens wusste ich, dass er nicht verheiratet gewesen war und – soweit bekannt – keine Kinder hatte.
Inzwischen trafen die ersten Antworten auf meine DNA -Anfrage ein. Zwei Ärzte aus New York lehnten die Teilnahme ab. Warum weigerten sich praktizierende Ärzte, an einer wichtigen Studie teilzunehmen? Hatten sie etwas zu verbergen? Etwa eine uneheliche Tochter in der Stadt, aus der die Anfrage für die Studie kam? Mir ging auf, dass diese Männer, falls sie mein Motiv errieten, auch einfach die DNA eines Freundes hätten schicken können. Eine Weigerung war immerhin besser als Betrug.
Sechs Vaterkandidaten sowie Dr. von Deyn Jr. schickten DNA -Proben. Keiner von ihnen war Rosies Vater bzw. Halbschwester. Professor Simon Lefebvre kehrte aus seinem Sabbatjahr zurück und wollte mich persönlich treffen.
»Ich bin hier, um etwas von Professor Lefebvre abzuholen«, sagte ich der
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