Das Rosie-Projekt
Briefpapier.
Lieber Don,
danke, dass Du die letzten Jahre meines Lebens so anregend gestaltet hast. Nachdem Edward ins Pflegeheim gekommen war, dachte ich, in meinem Leben passiert nicht mehr viel. Ich bin sicher, Du weißt, wie viel Du mir beigebracht hast und wie interessant unsere Gespräche waren, aber Dir ist vielleicht nicht bewusst, was für ein wunderbarer Freund und Beistand Du mir gewesen bist.
Ich habe einmal gesagt, Du könntest irgendeiner Frau ein wunderbarer Ehemann sein, und falls Du das vergessen hast, sage ich es Dir hiermit noch einmal. Ich bin sicher, wenn Du Dich nur genug anstrengst, wirst Du die Richtige finden. Gib nicht auf, Don.
Ich weiß, Du brauchst mein Geld nicht, aber meine Kinder schon, und trotzdem habe ich eine kleine Summe für Dich beiseitegelegt. Es würde mich sehr freuen, wenn Du damit etwas Irrationales anstellen würdest.
In Liebe,
Deine Freundin
Daphne Speldewind
Ich brauchte weniger als zehn Sekunden, um mir eine irrationale Ausgabe zu überlegen – tatsächlich erlaubte ich mir
nur
diese Zeitspanne, um sicherzugehen, dass die Entscheidung durch keinen logischen Denkprozess beeinträchtigt wurde.
Das Asperger-Forschungsprojekt war faszinierend, aber sehr zeitaufwendig. Der endgültige Antrag war beeindruckend, und ich war sicher, dass er einer Prüfung durch Fachkollegen standhalten würde, falls ich bei irgendeiner Organisation eine finanzielle Förderung hätte beantragen wollen. Ich gab vor, dass dies geschehen sei, wobei ich darauf verzichtete, einen entsprechenden Bewilligungsbescheid zu fälschen. Ich rief Lefebvres persönliche Assistentin an und erklärte, ich hätte vergessen, ihm die Dokumente zu schicken, werde sie nun aber persönlich vorbeibringen. Das Betrügen ging mir immer leichter von der Hand.
Ich meldete mich erneut an der Empfangstheke im Krankenhaus, und erneut rief man Professor Lefebvre. Diesmal hielt er keinen Umschlag bereit. Ich wollte ihm die Dokumente geben, er wollte meine Hand schütteln, und wir wiederholten die ungelenken Bewegungen vom letzten Mal. Lefebvre schien das lustig zu finden. Ich spürte, dass ich mich verkrampfte. Nach all meiner Arbeit wollte ich endlich die DNA .
»Seid gegrüßt«, sagte ich. »Hier die gewünschte Projektbeschreibung. Alle Anforderungen sind erfüllt. Jetzt brauche ich die DNA -Probe samt Fragebogen.«
Lefebvre lachte wieder und musterte mich von oben bis unten. War an meinem Äußeren etwas auszusetzen? Wie jeden zweiten Tag, trug ich das T-Shirt mit dem Periodensystem, das ich im Jahr nach meinem Studienabschluss zum Geburtstag bekommen hatte. Dazu die Allzweckhose, die zum Gehen, Dozieren, Forschen und für körperliche Anstrengung gleichermaßen geeignet war. Außerdem qualitativ hochwertige Laufschuhe. Das einzig Fehlerhafte waren meine Socken, die man unterhalb der Hose vermutlich sehen konnte und die verschiedene Farben aufwiesen – ein verbreiteter Fehler, wenn man sich bei schwachem Licht ankleidet. Doch Simon Lefebvre schien heute alles amüsant zu finden.
»Wunderbar«, sagte er. Dann wiederholte er meine Worte so, als wollte er meine Sprechweise imitieren: »Alle Anforderungen erfüllt.« In seiner normalen Stimme fügte er hinzu: »Sagen Sie Charlie, ich verspreche, den Antrag durchzusehen.«
Schon wieder dieser Charlie! Das wurde langsam lächerlich.
»Die DNA «, sagte ich laut vernehmlich. »Ich brauche die Probe.«
Lefebvre lachte, als hätte ich den größten Witz aller Zeiten gemacht. Sogar Tränen liefen ihm über das Gesicht. Echte Tränen.
»Sie haben mir den Tag versüßt.«
Er zog ein Papiertuch aus einer Schachtel auf der Empfangstheke, wischte sich das Gesicht ab, schnäuzte sich und warf das Tuch in den Abfalleimer, bevor er mit meiner Dokumentation verschwand.
Ich ging zum Abfalleimer und fischte das Tuch heraus.
20
Ich saß schon den dritten Tag in Folge mit einer Zeitung im Leseraum des Universitätsclubs. Ich wollte, dass es wie zufällig wirkte. Von meinem Platz aus hatte ich die Schlange an der Theke im Blick, an der Rosie manchmal ihr Mittagessen holte, obwohl sie kein Mitglied war. Diese Information hatte mir Gene gegeben, wenn auch unwillig.
»Don, ich glaube, es ist an der Zeit, die Sache ruhen zu lassen. Du wirst nur leiden.«
Ich war anderer Meinung. Mit Emotionen kann ich sehr gut umgehen. Auf Ablehnung war ich gefasst.
Rosie kam herein und stellte sich in die Schlange. Ich stand auf und schob mich hinter sie.
»Don«, sagte sie. »Was für
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