Das Rosie-Projekt
Case auf etwa achtzig, ungefähr so alt, wie Daphne gewesen war, als sie ins Pflegeheim kam. Rosies Geschichte zufolge war es sehr gut möglich, dass ich hier ihre Großmutter betrachtete.
Während Margaret Case still und stumm in ihrem Bett lag, dachte ich über das Vaterprojekt nach. Allein die Errungenschaften der modernen Technik hatten es möglich gemacht. Noch vor wenigen Jahren hätte Rosies Mutter ihr Geheimnis bei ihrem Tod mit ins Grab genommen.
Ich bin überzeugt, dass die Wissenschaft im Dienste der Menschlichkeit verpflichtet ist, so viele Geheimnisse wie möglich aufzudecken. Aber ich bin ein Naturwissenschaftler, kein Psychologe.
Die Frau vor mir war kein vierundfünfzigjähriger männlicher Arzt, der sich möglicherweise vor seiner Verantwortung als Vater gedrückt hatte. Sie war vollkommen hilflos. Es wäre einfach, ein Haar zu entwenden oder einen Abstrich ihrer Zahnbürste zu nehmen, aber es fühlte sich nicht recht an.
Aus diesen Gründen und anderen, die ich in jenem Moment noch nicht begriff, beschloss ich, keine DNA -Probe zu nehmen.
Plötzlich wachte Margaret Case auf. Sie öffnete die Augen und sah mich direkt an.
»Geoffrey?«, fragte sie leise, aber deutlich. Fragte sie nach ihrem Ehemann oder dem längst verstorbenen Sohn? Es hatte eine Zeit gegeben, in der ich bedenkenlos »Sie sind beide tot« geantwortet hätte, nicht aus Boshaftigkeit, sondern weil ich so konfiguriert bin, dass ich eher auf Tatsachen zurückgreife als auf menschliche Gefühle. Aber irgendetwas hatte sich geändert, und ich unterdrückte diese Aussage.
Sie musste gemerkt haben, dass ich nicht die Person war, die sie zu sehen hoffte, und begann zu weinen. Sie gab kein Geräusch von sich, doch auf ihren Wangen zeigten sich Tränen. Automatisch, da ich diese Situation mit Daphne schon erlebt hatte, zog ich mein Taschentuch hervor und wischte die Tränen fort. Margaret Case schloss die Augen. Und das Schicksal hatte mir eine DNA -Probe beschert.
Ich war erschöpft, und als ich das Pflegeheim verließ, standen mir vor lauter Schlafmangel ebenfalls Tränen in den Augen. Es war früher Herbst, und so weit im Norden war es um diese Uhrzeit bereits warm. Ich legte mich unter einen Baum und schlief ein.
Als ich aufwachte, stand ein Arzt in weißem Kittel über mir, und einen beängstigenden Moment lang fühlte ich mich in die schlimme Zeit von vor zwanzig Jahren zurückversetzt. Doch mir fiel schnell wieder ein, wo ich war und dass der Arzt bestimmt nur überprüfen wollte, ob ich verletzt oder tot sei. Ich hatte keine Regeln verletzt. Seit dem Verlassen des Pflegeheims waren vier Stunden und achtzehn Minuten vergangen.
Dieser Zwischenfall war eine wichtige Warnung vor den Gefahren der Übermüdung, so dass ich die Rückfahrt sorgfältiger durchführte. Jede Stunde legte ich eine fünfminütige Pause ein und hielt um 19 : 06 Uhr an einem Motel, aß ein zerkochtes Steak und ging zu Bett. Das frühe Schlafengehen ermöglichte am Sonntag um 5 : 00 Uhr eine frühe Weiterfahrt.
Der Highway führt an Shepparton vorbei, aber ich nahm die Ausfahrt und fuhr bis ins Stadtzentrum. Ich entschied, meine Eltern nicht zu besuchen. Die zusätzlichen sechzehn Kilometer zu ihrem Haus und zurück zum Highway würden die Gefahren der bereits anstrengenden Reise zusätzlich erhöhen – die Stadt wollte ich jedoch sehen.
Ich fuhr an Tillmans Eisenwaren vorbei. Das Geschäft war sonntags geschlossen, und mein Vater und mein Bruder waren bestimmt mit meiner Mutter zu Hause. Wahrscheinlich sortierte mein Vater gerade Fotos, und meine Mutter bat meinen Bruder, sein Modellbauprojekt vom Tisch zu räumen, damit sie den Tisch fürs Abendessen decken könnte. Seit der Beerdigung meiner Schwester war ich nicht wieder dort gewesen.
Die Tankstelle hatte geöffnet, und ich füllte Benzin nach. Ein etwa fünfundvierzigjähriger Mann mit einem geschätzten BMI von dreißig stand an der Kasse. Beim Näherkommen erkannte ich ihn und korrigierte sein Alter auf neununddreißig. Sein Haar war schütter geworden, er hatte sich einen Bart stehen lassen und zugenommen, aber das war ganz sicher Gary Parkinson, der mit mir die Highschool besucht hatte. Er hatte zum Militär gehen und durch die Welt reisen wollen. Offensichtlich hatte er diese Ziele nicht umgesetzt. Mir wurde bewusst, wie glücklich ich war, dass ich die Stadt hatte verlassen und mein Leben neu anfangen können.
»Hallo, Don«, sagte er, da er mich offenbar auch erkannte.
»Sei gegrüßt,
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