Das Rosie-Projekt
»Das macht dir wohl keinen Spaß, wie? Du wärst jetzt lieber allein im Museum, stimmt’s?« Sie war extrem scharfsinnig. »Okay, ich kapiers schon. Aber du hast so viel für mich getan … Du hast mich nach New York mitgenommen, und außerdem habe ich noch gar nicht alles Geld von dir ausgegeben. Also will ich jetzt etwas für dich tun.«
Ich hätte erwidern können, wenn sie etwas für mich tun
wolle
, sei das letztlich nur in ihrem eigenen Interesse, aber das hätte vielleicht nur weiteres »Leg dich nicht mit mir an«-Verhalten provoziert.
»Du bist an einem anderen Ort, du trägst andere Kleidung. Wenn im Mittelalter die Pilger nach Hunderten von Kilometern in Santiago ankamen, verbrannten sie ihre Kleider als Zeichen dafür, dass sie sich verändert hatten. Ich bitte dich nicht, deine Kleider zu verbrennen – noch nicht. Du kannst sie am Dienstag wieder anziehen. Aber sei jetzt mal offen für Neues. Lass mich dir zwei Tage lang meine Welt zeigen. Mit dem Frühstück fangen wir an. Wir sind in der Stadt mit der besten Frühstücksauswahl der Welt.«
Sie musste gemerkt haben, dass ich mich innerlich sträubte.
»Hey, du planst deine Zeit doch genau, damit du sie nicht vergeudest, oder?«
»Korrekt.«
»Also, du hast jetzt zwei Tage mit mir geplant. Wenn du dich dagegen sperrst, wirst du zwei Tage deines Lebens vergeuden, die jemand versucht, aufregend und produktiv und spaßig zu gestalten. Ich werde …« Sie hielt inne. »Ich habe den New-York-Führer in meinem Zimmer vergessen. Wenn ich wieder runterkomme, gehen wir frühstücken.« Sie drehte sich um und lief zu den Fahrstühlen.
Rosies Logik irritierte mich. Ich hatte meinen Zeitplan immer mit dem Argument der Effizienz gerechtfertigt. Aber war mir dabei die Effizienz wichtig oder der Zeitplan selbst? War ich im Grunde wie mein Vater, der darauf bestanden hatte, jeden Abend im selben Sessel zu sitzen? Das hatte ich Rosie gegenüber nie erwähnt. Auch ich hatte meinen speziellen eigenen Sessel.
Es gab ein weiteres Argument, das sie nicht angeführt hatte, weil sie es nicht kennen konnte. In den letzten acht Wochen hatte ich zwei der drei besten Ereignisse meines erwachsenen Lebens erlebt, vorausgesetzt, man betrachtete meine Besuche im Naturkundemuseum als ein einziges Ereignis. Und beide hatte ich mit Rosie erlebt. Bestand da ein Zusammenhang? Ich musste dem nachgehen.
Bis Rosie zurückkehrte, hatte ich mein Gehirn neu konfiguriert, was einer immensen Willensanstrengung bedurfte. Aber jetzt war ich auf Anpassung eingestellt.
»Und?« Sie sah mich erwartungsvoll an.
»Wie finden wir das beste Frühstück der Welt?«
Wir fanden es um die Ecke. Vermutlich war es das ungesündeste Frühstück, das ich je gegessen hatte, aber ich würde nicht merklich an Gewicht zunehmen und weder an Fitness noch an Scharfsinn einbüßen oder meine Kampfsportfähigkeiten verlieren, wenn ich sie für zwei Tage vernachlässigte. Das war der Modus, nach dem mein Gehirn jetzt funktionierte.
»Ich kann nicht fassen, dass du das alles gegessen hast«, sagte Rosie.
»Es hat sehr gut geschmeckt.«
»Kein Mittagessen. Und das Abendessen viel später.«
»Wir können jederzeit essen.«
Unsere Bedienung kam zum Tisch. Rosie deutete auf die leeren Kaffeebecher. »Der war gut. Ich glaube, wir könnten noch einen vertragen.«
»Hä?«, meinte die Kellnerin. Es war offensichtlich, dass sie Rosie nicht verstanden hatte. Es war ebenfalls offensichtlich, dass Rosie keinen Sinn für guten Kaffee besaß – oder sie hatte dasselbe getan wie ich, die Bezeichnung »Kaffee« ignoriert und das Ganze als völlig neues Getränk genossen. Diese Technik funktionierte hervorragend.
»Ein normaler Kaffee mit Milch und einer ohne. Bitte«, sagte ich.
»Klar.«
In dieser Stadt sagten die Leute geradeheraus, was sie wollten. Eine Stadt nach meinem Geschmack! Ich sprach gern Amerikanisch: »cream« statt »milk«, »elevator« statt »lift«, »check« statt »bill«. Vor meiner ersten Reise hierher hatte ich eine Liste mit Unterschieden zwischen amerikanischem und australischem Englisch auswendig gelernt und war überrascht gewesen, wie schnell mein Gehirn umschalten und automatisch darauf zurückgreifen konnte.
Wir spazierten Richtung Uptown. Rosie blätterte in einem Buch mit dem Titel
Nicht für Touristen
, was sich nach einer schlechten Wahl anhörte.
»Wohin gehen wir?«, fragte ich.
»Wir gehen nirgendwohin. Wir sind da.«
Wir standen vor einem Bekleidungsgeschäft. Rosie
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