Das Rosie-Projekt
treffen wir uns um acht – keine Verspätung, bitte«, sagte Rosie. Und küsste mich. Es war kein leidenschaftlicher Kuss, nur auf die Wange, aber er war verwirrend. Weder positiv noch negativ, einfach nur verwirrend.
Ich schrieb eine E-Mail an David Borenstein an der Columbia, dann skypte ich mit Claudia und erzählte von unserem Tag, wobei ich den Kuss unterschlug.
»Klingt, als hätte sie sich mächtig ins Zeug gelegt«, kommentierte Claudia.
Das stimmte. Rosie hatte Unternehmungen ausgesucht, die ich normalerweise gemieden hätte, die ich aber sehr genossen hatte. »Und Mittwoch zeigst du ihr das Naturkundemuseum?«
»Nein, ich werde die Krustentiere besichtigen sowie Flora und Fauna der Antarktis.«
»Das überlegst du dir besser noch mal«, riet Claudia.
26
Zur Columbia nahmen wir die U-Bahn. David Borenstein hatte nicht auf meine E-Mail geantwortet. Das erwähnte ich Rosie gegenüber jedoch nicht, die mich zu ihrer Verabredung mit eingeladen hatte, falls sie sich nicht mit meiner überschneide.
»Ich sage einfach, du bist ein Kollege«, erklärte sie. »Ich würde dir gern zeigen, was ich mache, wenn ich keine Getränke mixe.«
Mary Keneally war Assistenzprofessorin der Psychiatrie an der medizinischen Fakultät. Ich hatte Rosie nie gefragt, zu welchem Thema sie ihre Doktorarbeit schrieb. Wie sich herausstellte, lautete es
Umweltrisiken für Frühformen der bipolaren Störung
, ein ernstes wissenschaftliches Thema. Rosies Ansatz klang vernünftig und gut durchdacht. Sie und Mary unterhielten sich dreiundfünfzig Minuten, dann gingen wir zusammen Kaffee trinken.
»Mal ehrlich«, sagte Mary zu Rosie, »Sie sind eher Psychiaterin als Psychologin. Haben Sie nie daran gedacht, zu Medizin zu wechseln?«
»Ich stamme aus einer Familie von Medizinern«, antwortete Rosie. »Ich wollte wohl rebellieren.«
»Tja, wenn Sie mit dem Rebellieren fertig sind … Wir haben hier ein ausgezeichnetes Programm für Medizinstudenten.«
»Na klar«, meinte Rosie. »Ich an der Columbia!«
»Warum nicht? Und wo Sie schon mal den weiten Weg hierher gemacht haben …« Sie tätigte einen kurzen Telefonanruf und lächelte. »Kommen Sie mit, ich stelle Sie dem Dekan vor.«
Als wir zum Hauptgebäude zurückkehrten, sagte Rosie: »Ich hoffe, du bist gebührend beeindruckt.« Wir erreichten das Büro des Dekans, der vortrat und uns begrüßte.
»Don«, sagte er, »gerade habe ich deine E-Mail bekommen. Ich hatte noch gar keine Gelegenheit zu antworten.« Dann drehte er sich zu Rosie. »Hallo, ich bin David Borenstein. Und Sie sind mit Don hier?«
Wir aßen zusammen im Fakultätsclub zu Mittag. David erzählte Rosie, dass er meinen Antrag auf das O- 1 -Visum unterstützt habe. »Und ich habe nicht gelogen«, sagte er. »Wann immer Don Lust hat, in der ersten Liga mitzuspielen, kann er hier einen Job bekommen.«
Holzofenpizza ist angeblich umweltschädigend, aber ich betrachte derartige Angaben mit großer Skepsis. Sie beruhen oft mehr auf Emotionen denn auf Wissenschaft und lassen Lebenszykluskosten außer Acht. Elektrizität gut, Holzkohle schlecht. Doch woher kommt die Elektrizität? Unsere Pizza bei
Arturo’s
war exzellent. Die beste Pizza der Welt.
An einer der Äußerungen, die Rosie in der Columbia-Universität gemacht hatte, war ich näher interessiert.
»Ich dachte, du hast deine Mutter bewundert. Warum willst du keine Ärztin sein?«
»Es geht nicht um meine Mutter. Denk dran, mein Vater ist auch Arzt. Deshalb sind wir überhaupt hier.« Sie goss den Rest des Rotweins in ihr Glas. »Ich hatte schon an Medizin gedacht und den GAMSAT -Test gemacht, genau, wie ich es Peter Enticott erzählt habe. Und ich habe tatsächlich vierundsiebzig Punkte geschafft, zieh dir das ruhig rein!« Trotz ihrer aggressiven Worte blieb ihr Gesichtsausdruck freundlich. »Ich dachte, wenn ich Medizin studiere, wäre das irgendwie ein Zeichen dafür, dass ich mich an meinen echten Vater hänge. Als würde ich eher ihm folgen als Phil. Aber selbst mir ist klar, dass das blöd war.«
Gene konstatiert häufig, Psychologen seien unfähig, sich selbst zu analysieren. Rosies Fall schien diese These zu stützen. Warum sollte sie etwas meiden, was ihr gefiel und in dem sie gut war? Und bei drei Jahren Psychologiestudium plus mehreren Jahren Forschung hätte sie eigentlich eine bessere Einschätzung ihrer diversen Probleme abliefern können als »total verkorkst«. Natürlich teilte ich ihr diesen Gedanken nicht mit.
Als das Museum
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