Das Rosie-Projekt
hinzu.
»Steckt darin irgendwo ein Kompliment?«
Das Gespräch wurde kompliziert. Ich versuchte, meinen Standpunkt zu erläutern. »Es wäre unvernünftig, dich dafür zu loben, dass du unglaublich schön bist.«
Was ich als Nächstes tat, lag zweifellos daran, dass ich durch die Reihe der außergewöhnlichen und traumatischen Ereignisse der letzten Stunden ganz durcheinander war: das Händchenhalten, die Flucht vor dem Schönheitschirurgen und die extreme Wirkung der schönsten Frau der Welt, die nackt unter einem Handtuch vor mir stand.
Auch Gene sollte wenigstens eine Teilschuld zugesprochen werden, weil er gesagt hatte, die Größe der Ohrläppchen sei ein Indikator für sexuelle Attraktivität. Da ich mich sexuell noch nie in dem Maße zu einer Frau hingezogen gefühlt hatte, spürte ich plötzlich das dringende Verlangen, ihre Ohren zu untersuchen. Aus einem Impuls heraus, der aus späterer Sicht ähnlich schicksalhaft war wie in einer Schlüsselszene in Albert Camus’
Der Fremde
, streckte ich meine Hand vor und schob ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. In diesem Fall war die Reaktion allerdings ganz anders als die in dem Roman, den wir auf der Highschool durchgenommen hatten. Rosie legte ihre Arme um meinen Hals und küsste mich.
Auch wenn ich überzeugt bin, dass mein Gehirn in nicht üblicher Weise konfiguriert ist, hätten meine Vorfahren sich ohne das Verständnis grundlegender sexueller Signale und ihrer Reaktion darauf nicht fortgepflanzt. Diese Fähigkeit war offenbar auch bei mir fest einprogrammiert. Ich erwiderte Rosies Kuss. Sie reagierte.
Nach einer Weile lösten wir uns voneinander. Es war offensichtlich, dass das Essen verschoben werden würde. Rosie musterte mich und sagte: »Weißt du, mit anderer Brille und anderem Haarschnitt würdest du aussehen wie Gregory Peck in
Wer die Nachtigall
stört
.«
»Ist das gut?« In Anbetracht der Umstände konnte ich das wohl annehmen, aber ich wollte es von ihr selbst hören.
»Er war nur der sexyste Mann der Welt.«
Wir sahen einander einen Moment lang an, und ich beugte mich vor, um sie erneut zu küssen. Sie hielt mich auf.
»Don, das ist New York. Es ist wie Urlaub. Ich will nicht, dass du denkst, es könnte mehr bedeuten.«
»Was in New York passiert, bleibt in New York, richtig?« Es war ein Satz, den Gene mir für Konferenzen beigebracht hatte. Ich hatte ihn noch nie sagen müssen, und obwohl er sich ein bisschen seltsam anfühlte, schien er unter den gegebenen Umständen angemessen zu sein. Offenkundig war es wichtig, dass wir uns einig wären, dass es keine emotionale Fortsetzung dieser Situation gäbe. Zwar hatte ich zu Hause keine Frau wie Gene, aber ich hatte den Plan für eine ganz andere Frau als Rosie, die nach dem Sex vermutlich auf den Balkon gehen und rauchen würde. Seltsamerweise fand ich das gar nicht so abstoßend, wie es hätte sein müssen.
»Ich muss etwas aus meinem Zimmer holen«, sagte ich.
»Gute Idee. Bleib nicht zu lange.«
Mein Zimmer lag nur elf Stockwerke über Rosies, also nahm ich die Treppe. Oben angekommen, duschte ich und blätterte dann durch das Buch, das Gene mir geschenkt hatte. Am Ende hatte er doch recht gehabt. Unfassbar.
Ich kehrte zu Rosie zurück. Mittlerweile waren dreiundvierzig Minuten vergangen. Ich klopfte an die Tür, und Rosie öffnete in einem Schlafgewand, das noch mehr enthüllte als das Handtuch. Sie hielt zwei Gläser Champagner in Händen.
»Tut mir leid, er ist schon ein bisschen schal.«
Ich sah mich in ihrem Zimmer um. Die Überdecke war zurückgeschlagen, die Vorhänge waren zugezogen, und nur ein Nachtlicht brannte. Ich reichte ihr Genes Buch.
»Da dies unser erstes – und vermutlich letztes – Mal sein wird und du zweifellos mehr Erfahrung besitzt, empfehle ich, dass
du
die Position wählst.«
Rosie blätterte einmal durch das Buch und fing wieder von vorn an. Sie schlug die erste Seite mit Genes Symbol auf.
»Hat Gene dir das gegeben?«
»Es war ein Geschenk für die Reise.«
Ich versuchte, Rosies Gesichtsausdruck zu lesen, und tippte auf Verärgerung, doch ich war mir nicht sicher. Dann sagte Rosie in keineswegs ärgerlichem Tonfall: »Tut mir leid, Don, ich kann das nicht. Es tut mir wirklich sehr leid.«
»Habe ich was Falsches gesagt?«
»Nein, es liegt an mir. Es tut mir wirklich leid.«
»Hast du es dir anders überlegt, während ich weg war?«
»Ja«, meinte Rosie. »Genau das ist passiert. Tut mir leid.«
»Bist du sicher, dass ich nichts falsch gemacht
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