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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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auskommen würden!«
    »Kein Vergnügen ohne willig entrichteten Preis, meinst du? Ich hasse es, dir recht zu geben, aber vielleicht liegst du nicht ganz falsch«, erwiderte er mit einiger Erleichterung. »Und das in meinem Alter! Alle Lotharios sorgen für Chaos. Keiner von ihnen vereinfacht das Leben! Sie sind alle süchtig nach der Lust! Warum soll ich mich beklagen, solange die Frauen es nicht zu bunt treiben? Die meisten Leute benehmen sich viel zu anständig«, sagte er überzeugt. »Wenn sie ins Grab fahren, fragen sie sich, ob sie anderen nicht doch mehr Schaden hätten zufügen sollen. Und sie wissen genau, was sie verpasst haben. Jamal, ich danke dir für deine Unterstützung! Tut mir wirklich leid, dass ich für so viel Unruhe im Leben deiner Schwester sorge.«
    Obwohl ihm verziehen worden war, erschütterte ihn der Laufpass zutiefst, den Miriam ihm gegeben hatte, und er wollte sie noch fester an sich binden. Darum war es ihm auch so wichtig, dass das Stones-Konzert ein Erfolg wurde. Von der Dekadenz der Stones beflügelt - allerdings mit einem Vierteljahrhundert Verspätung -, war Henry so aufgeregt wie seit langem nicht mehr. Er rief mich tagsüber ständig an. Wenn ich gerade einen Patienten hatte, sprach er mit Maria, obwohl sie kaum ein Wort verstand. Sie verehrte Puccini.
    Henry hatte die Karten von einem Bekannten bekommen, einem Kostümdesigner, der für die Band arbeitete. Der Auftritt sollte im Astoria in der Tottenham Court Road stattfinden. Ich war mit Ajita und Mustaq in einem Konzert der Stones gewesen, wusste aber, dass Henry sie noch nie live erlebt hatte. Er behauptete allerdings, »in der Nähe« des Hyde Park gewesen zu sein, als Jagger beim ersten Auftritt nach dem Tod von Brian Jones einen Anzug von Ossie Clark getragen hatte.
    Marianne Faithful hatte in einer jener Inszenierungen mitgespielt, bei denen er gegen Ende der Sechziger als junger Mann Regieassistent gewesen war, und sie waren noch befreundet, obwohl sie wie jede Diva ziemlich schwierig sein konnte. Henry war immer ein wenig versnobbt gewesen, was den Rock 'n' Roll betraf, und er hatte nie genau gewusst, ob dieser einfach nur frivol oder ein Ausdruck der Revolution war. Er hasste das Tanzen, verabscheute alles, was zu laut war, und hinsichtlich des Vergnügens an der »Vulgarität« hegte er höchst ambivalente Gefühle - bis jetzt, denn jetzt wusste er, dass Miriam beeindruckt wäre. Und das war sie auch.
    Henry hatte die Karten verlegt, gefunden, verloren und noch einmal wiedergefunden. Als der Tag schließlich gekommen war, trieben sich Miriam und Henry den ganzen Nachmittag auf dem Camden Market herum, um schwarze Klamotten zu kaufen. Wir hatten uns alle passend angezogen und trugen bequeme Schuhe. Bushy fuhr Henry, mich und Miriam hin und setzte uns beim Soho Square ab. Inzwischen war Soho immer überlaufen, doch an diesem Abend war es rammelvoll.
    »Kann sein, dass ich jetzt wie ein altes Tantchen klinge, aber müssen wir uns wirklich hier anstellen?«, fragte Henry, als wir uns der Schlange näherten. »Wir haben doch gute Karten, oder? Gibt es keinen Sondereingang?«
    »Das ist der Sondereingang.«
    Die Schlange zog sich schon rings um den Block. Zahlreiche Schwarzhändler kauften und verkauften Karten. Es herrschte eine angespannte, fast brutale, ja krawallartige Stimmung, die sich stark vom Theater oder von der Oper unterschied. Wie Henry richtig sagte: »Bei meinen Aufführungen ist das ganz anders!«
    Selbst nach so vielen Jahren war das Publikum immer noch verrückt nach den Stones, der Londoner Band, die nun zu Hause im kleinen Rahmen spielte. Horden von Fotografen trieben sich hinter den Absperrungen herum, und wenn sie Bilder von Soap-Stars schössen, blendete das Blitzlicht. Miriam musste Henry auf diese Stars hinweisen und ihm die Kinder jener Rock 'n' Roller zeigen, die wir in den sechziger Jahren angehimmelt hatten. Inzwischen bildeten sie eine neue Dynastie und glichen mit ihrem sozialen Kapital den großen, edlen Familien des ancien régime. Auf dem Weg zur Bar lief ich drinnen der Pantoffel-Frau über den Weg, die von einem hübschen Jungen begleitet wurde. Sie trug eine kleine Brille mit schwarzem Rahmen, mit der sie aussah wie ein Model, das sich zur Bibliothekarin hatte umschulen lassen. Wir küssten einander auf die Wange, und sie fragte nach Henry. »Er ist immer noch der Alte«, antwortete ich. »Möchtest du nächste Woche irgendwann abends mit uns essen gehen?«
    Sie willigte ein, doch bevor

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