Das Sakrament
der Festung hatte Tannhäuser noch weitere sieben Kirchen und Kapellen durchsucht, von denen es auf Malta so viele gab. Er fand weitere fünf Register unter Altarsteinen begraben, aber auch die hatten nichts erbracht.
Sein Plan, den Jungen zu finden, hatte sich als genauso lächerlich herausgestellt wie das ganze Unterfangen. Der dringende Wunsch, eine Frau zu beeindrucken, hatte schon unzählige andere Männer in Katastrophen geführt, die sie sonst gemieden hätten. Es war ihm allerdings nur ein schwacher Trost, daß er sich in eine Gesellschaft von Narren eingereiht hatte, die bis in den Garten Eden zurückreichte.
In dieser Stadt gab es Hunderte von Jungen. Es war keine leichte Sache, unter ihnen einen Bastard zu finden, der vor zwölf Jahren am Vorabend von Allerheiligen geboren war. Plötzlich dämmerte ihm, daß ein solches Findelkind vielleicht nicht einmal sein eigenes Geburtsdatum kannte. Unehelichkeit war in dieser Gesellschaft ein heikles Thema, denn unter den Maltesern herrschte überall ein verdrießlicher Stolz, und unter den Rittern wurde ein untadeliger Ruf, besonders wenn es um Frömmigkeit ging, eifersüchtig gehütet. Indem sie die sexuellen Ausschweifungen ihrer im Zölibat lebenden Diener verbarg, hatte sich die Römische Kirche außerdem Fertigkeiten angeeignet, die sie in über tausend Jahren sehr verfeinert hatte.
»Ich werde ihn erkennen, wenn ich ihn sehe«, hatte Carla behauptet. Falls dem so war, hatte sie ihren Sohn bisher nicht gesehen. Tannhäuser hatte all die ungewaschenen Gesichter nach einem Anklang von Carla und Ludovico abgesucht. Jeden Tag hatte er ein halbes Dutzend Jungen entdeckt, das einem von beiden wie aus dem Gesicht geschnitten erschien. Am nächsten Tag spotteten diese Gesichter seiner Leichtgläubigkeit. Dabei gingensie noch immer von der Annahme aus, daß der Junge noch auf der Insel war und nicht längst gestorben oder irgendwo als Lustknabe in einem libyschen Bordell oder im Bett eines Kardinals lag. Tannhäuser hatte in Erwägung gezogen, Carla zu berichten, er hätte auf einem der abgelegenen Landfriedhöfe jenseits der Festungsmauern den Grabstein des Jungen gefunden. Wieviel Trauer konnte sie denn noch über eine so ferne Gestalt verspüren? Aber nicht Trauer, sondern eine Niederlage würde ihre Stirn umwölken, und er wollte nur ungern ihre Augen trüben, schon gar nicht durch eine Lüge. Carla schien ihr Leben als eine einzige Geschichte widerstandsloser Ergebenheit zu sehen. Starke Menschen zögerten stets, Entschuldigungen für ihre Mißerfolge vorzubringen. Ihre Suche nach dem Jungen war Carlas letzte Schlacht. Wenn sie die auch verlor, fürchtete Tannhäuser, würde sie niemals den Mut finden, eine andere Schlacht zu schlagen.
Tannhäuser hatte eine andere Täuschung in Erwägung gezogen. Es war eigentlich eine Eingebung Amparos gewesen, als er nach seiner Rücckehr von der mitternächtlichen Besprechung mit den Knöpfen ihres Kleides gekämpft hatte. Er wollte einen der unzähligen Waisenjungen der Stadt bitten, sich als ihr Sohn auszugeben. Amparo hatte sich mit einem der zerlumpten Burschen am Hafen angefreundet und hatte ihn gefragt, ob sie ihm den Jungen vorstellen dürfte. Es dürfte keine Schwierigkeit bereiten, das Vertrauen des Jungen zu gewinnen, ihn für diesen Plan vorzubereiten und ihn dazu zu bringen, den passenden Geburtstag anzugeben, der sich leicht durch eine einfache Fälschung in einem der mitgebrachten Taufregister bestätigen ließe. Alle wären zufrieden, und dann könnten sie rasch dieser Insel des Wahnsinns den Rücken kehren.
Er starrte den letzten Bissen auf dem Teller mit plötzlichem Widerwillen an. Ehre war ein grausamer Fluch. Sie führte mit größerer Sicherheit zu mehr Zerstörung als alle Laster zusammen. Die Liebe zu Frauen war noch schlimmer und konnte einem ein hervorragendes Frühstück und so einiges andere verderben. Tannhäuser bedeutete Nicodemus, den Kaffee zu bringen. Er nipptean dem köstlichen Getränk und wartete darauf, daß seine Lebensgeister wieder erwachen würden. In Mdina, der offiziellen Hauptstadt der Insel, war er noch nicht gewesen. Über seine berühmten maltesischen Kundschafter stand La Valette mit der dortigen Garnison in Verbindung, aber die Reise nach Mdina war gefährlich. Trotzdem: Der Junge war in Mdina geboren, daher mußte Tannhäuser diese Reise unternehmen. Wenn sich der Weg als genauso fruchtlos herausstellen sollte, würde er Carla davon überzeugen, daß ihre Suche zu Ende
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