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Das Schlitzohr

Das Schlitzohr

Titel: Das Schlitzohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Schöchle
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Blick
auf den Hofraum mit dem Misthaufen unseres kleinbäuerlichen Nachbarn. Bald
entwickelte sich manch tiefsinniger Diskurs mit ihm, während er seinem
Misthaufen ein festliches Aussehen zu verleihen suchte, denn er war im Begriff,
sich erfolgreich und einträglich zu beweiben: »Woast, Herr Nachbar, i hab a
Geldige gnommen aus der Hollerdau, a Geldige!« Worauf er mit schlauem Lächeln
hinzufügte: »Derheirat ist leichter wie derspart.« Mit diesen Worten wandte er
sich wieder hochbefriedigt seinem Misthaufen zu, seinem Glück nachsinnend. Auch
wenn er Schillers Glocke nie auswendig gelernt, ja überhaupt nie etwas von ihr
gehört hatte, so trafen die prophetischen Worte »mit dem Gürtel mit dem
Schleier reißt der holde Wahn entzwei« in einem schrecklichen Maße auf ihn zu.
Denn kaum 14 Tage nachdem er diesen ertragreichen Ehebund geschlossen hatte,
wurde die Ehe durch eine Meinungsverschiedenheit getrübt, die er auf
schlagkräftige niederbayerische Art zu bereinigen gedachte. Worauf zwei Tage
später der Bruder seiner Holden auftauchte, ein Zweizentnermann wie ein
Kühlschrank. Während unser Kleinbäuerlein eher zierlich, um nicht zu sagen
mickrig genannt werden konnte. Das Geschwisterpaar band ihn auf den Tisch und seine
Ehehälfte behandelte ihn nachdrücklich, wenn auch nicht gerade liebevoll, mit
dem Ochsenziemer, bis er sich durch einen kühnen Sprung aus dem Fenster auf den
Misthaufen retten konnte.
    Mein Studien-, Zimmer- und Trinkgenosse
Franz und ich hatten Gelegenheit, diese rührende Familienszene von unserem
Blechdach aus zu beobachten. Als er sich wieder auf-gerappelt hatte, riefen wir
ihm die freundlichen Worte zu: »Gell, Herr Nachbar, derheirat ist leichter als
derspart.«
    Worauf er mit gerungenen Händen zu uns hinauf
barmesierte: »Geh, hob i in Dreck neiglangt.« Als kluger Mensch fügte er sich
bald in sein Schicksal, da er erkannte, daß er sonst von seinem wohlgebauten
Schwager wesentlich mehr »Heiratsgut« ausbezahlt bekam als es ihm lieb war.
     
     
     

Die mittlere Reife
und der Cutaway
     
     
    Der Sohn meiner Hausfrau spielte für
mich eine wichtige Rolle, denn er besuchte die Realschule in Freising. Warum
das für mich wichtig war, werden wir bald sehen. Für das Studium an einer
höheren Fachschule war eigentlich die mittlere Reife Voraussetzung. Da aber die
frischgebackene Höhere Fachschule Weihenstephan keine Aussicht hatte,
ausreichend Studierende mit der mittleren Reife zu bekommen, half man sich mit
einem Trick. Das viersemestrige Studium wurde in einen niederen und einen höheren
Lehrgang aufgeteilt. Für den niederen Lehrgang war die mittlere Reife nicht
vorgeschrieben. An diesen schloß sich das dritte und vierte Semester als
höherer Lehrgang an, den man allerdings nur mit dem Zeugnis der mittleren Reife
besuchen konnte, es sei denn, man hatte die mittlere Fachreife zuerkannt
bekommen. Diese Zulassung lag im Ermessen der Direktion und war vom
erfolgreichen Besuch des niederen Lehrgangs im allgemeinen und dem
Wohlverhalten während der zwei ersten Semester im besonderen abhängig. Die
Erkenntnis dieser Abhängigkeit veranlaßte die Studenten ohne mittlere Reife zu
einer geradezu krankhaften Servilität. Da mir dieses Verhalten aber auch bei
größter Anstrengung nicht lag, war es mir spätestens im zweiten Semester
absolut klar, daß ich auch bei bester Leistung kaum Aussicht hatte, der
Vergünstigung der mittleren Fachreife teilhaftig zu werden. Deshalb kam ich auf
die Idee, die mittlere Reife an der Realschule Freising nachzuholen.
    Mein Filius hospitalis war guter
Durchschnitt der fünften Klasse Realschule, und ich konnte mich über den
Lehrstoff orientieren. Außerdem stellte er mir die Verbindung mit dem Primus
der sechsten Klasse her. Zum Glück wollte dieser auch noch Gärtner werden und
ließ sich von mir in dieser Hinsicht beraten. Gemessen an seinem Wissen und dem
Lehrstoff der sechsten Klasse, mußte ich die mittlere Reife eigentlich
schaffen. Allerdings machte ich mir über die Schwierigkeiten nichts vor. Als
erstes suchte ich den Direktor der Realschule auf. Über seine Schwächen hatte ich
mich vorher bei meinen beiden Informanten genauestens orientiert. Bei diesem
Besuch benahm ich mich so seriös, als ob ich einer mißtrauischen Mutter ihre
Tochter zu einem Couleurball entlocken wollte. Der Eindruck, den ich auf den
Direktor machte, war denn auch durchaus befriedigend, und er gab mir die
Adresse eines jungen Philologen, der meine französischen und

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