Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
Zwillingsbruder eingefangen, dem 86-jährigen Hermie Boettcher, dem pensionierten Erdkundelehrer von A17, den sie bisher für ziemlich steifleinen gehalten hat, der sie nun aber wortlos im Foxtrottschritt mitten auf die Tanzfläche führt.
»Eine Schande, ein hübsches Mädchen ganz für sich allein tanzen zu sehen«, sagt Hermie.
»Hermie, Ihnen würde ich überallhin folgen«, erklärt sie ihm.
»Kommen Sie, wir wollen näher ans Podium heran«, sagt er. »Ich möchte mir diesen Star in den schicken Klamotten aus der Nähe ansehen. Er soll blind wie ein Maulwurf sein, aber das glaube ich nicht.«
Hermie, der seine rechte Hand fest in ihr Kreuz gepresst hält und seine Hüften im Takt zu Artie Shaw wiegt, führt sie ganz nahe ans Podium heran, auf dem der Symphoniker bereits seinen Trick mit einer neuen Schallplatte vorführt, während er die letzten Takte der vorigen abwartet. Rebecca könnte schwören, dass Stan/Henry nicht nur spürt, dass sie vor ihm tanzt, sondern ihr geradezu zublinzelt! Aber das ist nun wirklich unmöglich … oder etwa nicht?
Der Symphoniker lässt die Shaw-Platte verschwinden, legt die neue auf den Plattenteller und sagt: »Könnt ihr ›fetzig‹
sagen? Könnt ihr ›groovy‹ sagen? Nachdem wir jetzt alle ein bisschen lockerer sind, wollen wir zu Woody Hermans ›Wild Root‹ jumpen und jiven. Dieser Song ist euch schönen Ladys gewidmet, vor allem der einen, die Calyx trägt.«
Rebecca lacht und sagt: »Ach, du liebe Güte!« Er konnte ihr Parfüm riechen; er hatte es erkannt!
Ohne sich von dem lebhafteren Tempo von »Wild Root« einschüchtern zu lassen, gleitet Hermie Boettcher einen Schritt zurück, streckt die Arme aus und wirbelt Rebecca herum. Beim ersten Schlag des nächsten Takts fängt er sie in seinen Armen auf, wechselt die Tanzrichtung und lässt sie beide zum anderen Ende des Podiums kreiseln, wo Alice Weathers neben Mr. Thorvaldson stehend zu Symphonic Stan aufsieht.
»Die besondere Lady müssen Sie sein«, sagt Hermie. »Weil dieses Parfüm, das Sie tragen, eine Widmung wert ist.«
»Wo haben Sie so tanzen gelernt?«, fragt Rebecca.
»Mein Bruder und ich, wir waren Stadtjungen. Tanzen gelernt haben wir vor der Musikbox im Alouette’s drüben in Arden.« Rebecca kennt das Alouette’s auf der Main Street in Arden, aber wo früher die Limonadentheke war, befindet sich jetzt eine Lunchtheke, und die Jukebox ist ungefähr damals rausgeflogen, als Johnny Mathis aus den Charts verschwunden ist. »Wollen Sie einen guten Tänzer, suchen Sie sich einen Jungen aus der Stadt. Tom Tom, na, der war immer der flotteste Tänzer weit und breit, und man kann ihn zwar in diesen Rollstuhl knallen, aber sein Rhythmusgefühl kann ihm keiner nehmen.«
»Mr. Stan, juhu, Mr. Stan?« Alice Weathers hat den Kopf in den Nacken und die Hände um den Mund gelegt. »Erfüllen Sie auch Musikwünsche?«
Eine Stimme so ausdruckslos und hart wie zwei gegeneinander mahlende Steine sagt: »Ich war zuerst da, alte Hexe.«
Diese grobe Unverschämtheit lässt Rebecca ruckartig Halt machen. Hermies rechter Fuß senkt sich sanft auf ihren linken, wird aber rasch weggezogen, ohne sie mehr zu verletzen als ein Kuss. Charles Burnside, der über Alice aufragt, funkelt Thorvald Thorvaldson an. Thorvaldson weicht zurück und zieht an Alices Hand.
»Gewiss, meine Liebe«, sagt Stan und beugt sich etwas zu ihr hinunter. »Sagen Sie mir Ihren Namen und was Sie hören möchten.«
»Ich bin Alice Weathers und …«
»Ich war zuerst da«, wiederholt Burny laut.
Rebecca sieht zu Hermie hinüber, der mit saurer Miene den Kopf schüttelt. Stadtjunge oder nicht, er ist ebenso eingeschüchtert wie Mr. Thorvaldson.
»›Moonglow‹, bitte. Von Benny Goodman.«
»Ich bin zuerst dran, Schnepfe. Ich will das Woody-Herman-Stück ›Lady Magowan’s Nightmare‹. Das ist wirklich gut .«
Hermie beugt sich zu Rebeccas Ohr hinüber. »Niemand mag diesen Kerl, aber er setzt sich immer durch.«
»Nicht diesmal«, sagt Rebecca. »Mr. Burnside, ich möchte, dass Sie …«
Symphonic Stan schneidet ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. Er wendet sich an den Besitzer der bemerkenswert unangenehmen Stimme. »Muss leider passen, Mister. Der Song heißt ›Lady Magowan’s Dream‹, aber ich habe dieses fetzige kleine Stück heute Nachmittag nicht mitgebracht, sorry.«
»Okay, Kumpel, wie wär’s dann mit dem Song ›I Can’t Get Started‹, den Bunny Berigan gespielt hat?«
»Oh, den mag ich auch«, sagt Alice. »Ja,
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