Das Schwein unter den Fischen
einen Abstecher zum Friedhof.
Eigentlich will ich zu Friedrichs und Oma Sentas Grab, aber dann ändere ich die Richtung und radele quer durch den Park zum Grab von Iris’ Arm.
Ich sehe zum ersten Mal, dass ein Abbild ihres Delfin-Tattoos in den Stein gemeißelt wurde, ebenso der Schriftzug
Warrior of Light
. Vielleicht sagen die Tattoos der Menschen vor allem etwas darüber aus, was sie nicht sind.
Ich setze mich im Schneidersitz auf das Grab. Genau so, wie Iris immer dasaß, wenn sie zu meinen Händen gesprochen hat. Ich imitiere ihren feierlichen Gesichtsausdruck und erkläre meinen nächtlichen Ausflug ab sofort zu einem ernstgemeinten Besuch.
Es liegen überhaupt keine Blumen auf dem Grab. Vermutlich findet Ramona das Grab einfach nicht wieder. Rahim, der schöne Afghane, hat seine Liebe bestimmt einer neuen Frau geschenkt. Er ist ein Mann, der Blumen aufs Grab legen würde, zumindest solange eine andere Frau nichts dagegen hätte. Man sollte keine lebendige Frau rasend machen, indem man einer Toten Blumen bringt.
Ich wünschte, ich wäre romantisch. Iris hat sich bestimmt auch nicht sonderlich für Dekorationen interessiert. Sie interessierte sich mehr für Unsichtbares, faselte ja immer was von Aura, Energiefluss und allerlei Summsumm.
Als Kind dachte ich, eine Aura müsste unbedingt grün sein, eine amorphe lichtdurchflutete grüne Masse, wie ein fliegender Slime. Yves Klein hätte sich als Kind sicher eine blaue Aura gedacht. Wenn irgendetwas von Iris’ übersinnlichem Geschwafel gestimmt hat, müsste jetzt doch zumindest ein Blatt vom Baum fallen. Das könnte ich dann als Zeichen deuten.Ich frage mich, warum ich gar keine Angst habe, so ganz allein, nachts, auf dem Friedhof; irgendwann komme ich zu dem Schluss, ganz schön besoffen sein zu müssen. Zu besoffen auf jeden Fall, um die Lage nachts auf einem Friedhof richtig einzuschätzen.
Mein Handy piept. Sicher hat Reiner bemerkt, dass ich nicht in meinem Bett liege.
Es ist eine Nachricht von Simon:
Wo bist du?
Auf dem Friedhof!
Okay. Witzig. Ficken?
Dann versucht er sofort, mich anzurufen. Ich mache das Telefon aus und überlege, ob ich hierbleiben soll, bis die Sonne aufgeht. Doch als ich in der Nähe jemanden husten höre, nehme ich mein neues Fahrrad und radle los.
Ich höre Reiner und Ramona schon im Treppenhaus schnarchen. Sie haben gar nicht bemerkt, dass ich nicht da bin. Ich stelle das Rad in den Keller, suche einen Schlafsack und lege mich im Imbiss in den Vorratsraum neben das Regal, das Friedrich erschlug.
DIE FÄHRTE
Mein Kopf ist ein unförmiges, schmerzhaftes Ding. Meine Arme sind eingeschlafen. Der Geruch von rohem Fleisch, Kaffee und Essig dringt mir in die Nase. Langsam werde ich wach.
Reiner hat mir ein Mettbrötchen und einen Becher schwarzen Kaffee neben den Schlafsack gestellt und mit Perlzwiebeln, einem Gürkchen und einem Streifen Paprika ein lachendes Gesicht in das Hackfleisch gedrückt.
Ich esse das Gesicht und trinke den Becher Kaffee in einem Zug aus – wie die Schnäpse letzte Nacht. Sodbrennen breitet sich aus, ich stehe trotzdem auf. Ich habe noch immer die Klamotten von gestern an. Ich schlurfe zu Reiner, der sagt:
»Geh duschen, Tochter! Hast du dein Brötchen gegessen? Du solltest was essen vorm Duschen, sonst kippst du mir noch um, fidibumm!«
»Lass mich in Ruhe, ich riech immer noch besser als dein Fett von gestern!«
»Hey, hey, jetzt mach dich mal locker! Ich hab auch einen ordentlichen Schädel. Wann warste denn da? Hat Ramona auch geschnarcht? Sag ihr das mal, sie sagt nämlich immer, das sei nicht sie! Weißt du, wer mich heute Morgen im Treppenhaus so vollgequatscht hat, dass ich noch mehr Kopfschmerzen gekriegt habe: die Borkenhagen. Die Ische kann labern, sag ich dir, und seit ihr Stefan weg ist, kommt die gar nicht mehr auf den Punkt, Mensch muss der gelitten haben. Das ist eine komische Tante, macht jetzt auf Buddhisterin, weil sie nicht mehr gefeudelt wird.«
»Ach Papa, so einfach ist das alles nicht.«
»Doch, so einfach ist das, Stine. Kein Mann, rumsdibumsdi werden die Weiber alle zu Kartenlegerinnen und suchen im Himmel nach Antworten, dabei sollten sie einfach mal ihrer Muschi auf die Spur kommen. Die machenstattdessen alles, um zu vergessen, dass sie überhaupt eine haben! Die werden Metaphistiker!«
»Metaphysiker, Papa! Männer haben also den Durchblick, oder was?«
»Klar, die bringen die Sache auf den Punkt, gehen rumbumsen, um zu vergessen, wenn’s sein muss, ein
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