Das Schwert des Normannen: Roman (Knaur TB) (German Edition)
auf ihrem Stuhl. Ihre Haut sah plötzlich fahl aus, die Augen schienen wie erloschen. Onfroi hatte es bemerkt und warf mir einen wissenden Blick zu. Er war also im Bilde. Auch ich nickte ihm unmerklich zu.
»Und was wird jetzt aus mir?«, ließ sie sich leise vernehmen. Es war wie die Klage eines Kindes.
Onfroi beugte sich vor und küsste ihre Hand.
»Du bist immer noch unsere Contessa, meine Liebe«, sagte er.
*
Noch am späten Nachmittag ließ Onfroi die Barone in die Halle der Burg laden. Männer wie Pierron, Asclettin und solche, die auf ihrer Seite standen, kamen eher widerwillig und auch nur unter der Bedingung, in Begleitung ihrer bewaffneten Leibwachen teilzunehmen. So groß war ihr Misstrauen, man könnte sie des Mordes an Drogo beschuldigen und festsetzen.
Auch Gaitelgrima, als Witwe des verstorbenen Grafen, nahm an der Versammlung teil, um die Beileidsbekundungen der Anwesenden entgegenzunehmen. Sie war bleich, wirkte jedoch gefasster und bemühte sich um Würde. Aber auch sie verlangte ständige Bewachung. Besonders unter diesen Normannenführern, vor denen sie sich insgeheim fürchtete. Also standen Reynard und ich in voller Rüstung hinter ihrem Stuhl, was nicht ohne hochgezogene Brauen zur Kenntnis genommen wurde.
Ich beobachtete die Gesichter dieser harten Söldnerführer. Sie zollten Gaitelgrima und Drogo stillen Respekt. Doch ob Drogos Ableben sie wirklich berührte, ließ sich aus den verschlossenen Mienen nicht ablesen. Aber dies waren Männer, denen der plötzliche Tod von Kameraden und Weggefährten nicht fremd war. Selbst Onfroi, obwohl ernst und würdevoll, zeigte wenig an äußerlicher Regung.
»Ich habe euch hergebeten«, begann er in ruhigem Ton, »weil wir einiges zu besprechen haben. Aber zunächst geht es um meinen Bruder. Übermorgen werden wir ihn bestatten, und ich möchte euch bitten, vor aller Welt Geschlossenheit zu zeigen und ihm in Würde das Geleit zu geben, gleich, wie der eine oder andere zu ihm gestanden hat. Schließlich ist er uns allen über die Jahre ein guter Kampfgefährte gewesen.«
Einen Augenblick lang herrschte nachdenkliches Schweigen. Vermutlich erinnerten sie sich vergangener Schlachten und Abenteuer, die sie geteilt hatten. Manche waren schon vor Jahren mit Williame und Drogo in Sicilia gewesen und hatten dort gegen die Mauren gekämpft.
»Natürlich tun wir das, Onfroi«, ließ Tristan sich vernehmen. »Das ist ja wohl das mindeste.«
»Aber damit wir uns nicht missverstehen«, knurrte gleich darauf Pierron. »Ob wir kommen oder nicht, ist allein unsere Angelegenheit. Du bist nicht besser als jeder andere von uns hier, und zu befehlen hast du uns schon gar nichts.«
»Dies ist kein Befehl, sondern eine Bitte. Außerdem brauchen wir Einigkeit unter uns. Deshalb ist es an der Zeit, unsinnige Streitigkeiten zu begraben.«
»Nicht, solange man uns des Mordes bezichtigt.«
»Ich bezichtige nur die Schuldigen. Und die sitzen nicht in diesem Raum.« Die Männer sahen sich erstaunt an und wollten wissen, wen er denn verdächtigte.
»Darüber reden wir später«, war seine Antwort.
»Was ist mit meinem Sohn?«, rief Asclettin.
»Du nimmst mir das Wort aus dem Mund.« Onfroi deutete zur Eingangstür. »Da ist dein Prachtjunge. Du kannst ihn gleich mit nach Hause nehmen. Er ist frei.«
Alle Köpfe wandten sich zur Tür.
Tatsächlich stand dort, flankiert von zwei Wachen, ein hochgewachsener junger Mann, kräftig gebaut, gutaussehend, mit zerzausten, flachsfarbenen Haaren, die ihm bis auf die Schultern fielen, und einem verwilderten Bart, dem ihm wohl niemand in der Kerkerhaft gestutzt hatte. Er musterte Onfroi mit einem ruhigen, abschätzenden Blick, dann die ganze Runde. Erhobenen Hauptes schritt er schließlich auf seinen überraschten Vater zu, der ihn freudig umarmte und einen Platz an seiner Seite einräumte.
»Wurde auch verdammt Zeit«, brummte Asclettin.
Onfroi wies eine Magd an, die Becher der beiden zu füllen. Dann nahm er seinen eigenen und wanderte zu ihnen hinüber. »Trinken wir auf Richard und seine neu gewonnene Freiheit«, sagte er.
»Ihr seid verfluchte Scheißkerle, ihr Hautevilles«, knurrte Asclettin. »Glaub bloß nicht, dass das so schnell vergessen ist. Aber deinen Wein sauf ich jetzt trotzdem.«
Er stürzte den Inhalt seines Bechers in einem Zug hinunter, während Onfroi ihm ruhig dabei zusah und dann selbst einen Schluck nahm.
»Die Sache ist erledigt, Vater«, sagte Richard. »Wenn Drogo wegen Plündern sogar den eigenen
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