Das sechste Herz
Fahrzeug handelt es sich vermutlich um einen Ford Focus Kombi älteren Baujahrs in Silber oder Beige mit Leipziger Kennzeichen.« Auf der Leinwand wurde ein Foto eines hellen Fords eingeblendet, dessen Nummernschild mit einem »L« begann. Die restlichen Buchstaben und Ziffern waren unkenntlich gemacht.
»… bitten wir die Bevölkerung um Mithilfe. Wem ist gestern in der Zeit zwischen achtzehn und neunzehn Uhr ein solches Fahrzeug in der Leipziger Innenstadt oder auf dem Weg nach Großpösna, wahrscheinlich auf der S 38, aufgefallen? Wer kann sachdienliche Hinweise zum Fahrer machen?«
Wieder erschien vorn eine Straßenkarte, diesmal war die Fahrtroute rot eingezeichnet. Jo fotografierte die Leinwand, Lara dachte kurz darüber nach, was dann wohl » nicht sachdienliche Hinweise« waren, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Mann in Uniform zuwandte.
»Vermutlich hat der Täter nach der Entführung am Augustusplatz folgenden Weg eingeschlagen.« Der Pressesprecher ließ den Laserpointer von Kreuzung zu Kreuzung gleiten und nannte dazu die jeweiligen Straßen. Er schloss mit: »Derzeit werden alle infrage kommenden Fahrzeuge überprüft.«
Der Typ mit dem Handy neben ihr tippte schneller. Wahrscheinlich übermittelte er seine Informationen direkt an seine News-Redaktion.
Lara versuchte, einen Blick auf seinen Presseausweis zu erhaschen, aber der hing mit der Rückseite nach vorn an der Brust. Jo holte rasselnd Luft und hustete dann in seine Faust. Hatte er sich erkältet? Die Luft im Saal war überhitzt und zum Schneiden dick. Es roch nach nasser Wolle und Schweiß.
»… Vanessa H. fand im Kofferraum Beweise, die darauf schließen lassen, dass ihr Kidnapper der gleiche Täter ist, der auch Laura M. entführt und getötet hat.«
Ein Raunen ging durch den Saal. Die wichtigste Information hatte sich der Mann bis zuletzt aufgehoben. Er legte den Laserpointer beiseite und gab damit zu erkennen, dass die Präsentation beendet war. Gleich würde sich die versammelte Meute auf ihn stürzen.
Lara betrachtete ihre Notizen. Vielleicht war das jetzt eine heiße Spur, die zum Täter führte. Zu demjenigen, der Laura M. ermordet und diese Vanessa verschleppt hatte. Und höchstwahrscheinlich auch der Komplize und spätere Mörder von Frank Studer war. Die Polizei musste ihn nur noch schnappen, und dann würde sich alles aufklären. Erleichterung wärmte ihre Brust.
Im Saal hatte inzwischen die Fragerunde begonnen. Anfragen prasselten im Sekundentakt auf den Pressesprecher ein. Was das für Beweise seien, die das Mädchen im Auto gefunden habe. Ob das Opfer schwer verletzt sei, ob es schon Erkenntnisse gebe, wie der Täter mit Frank Studer und den vorhergehenden Taten in Verbindung zu bringen sei.
Zehn Minuten später war das Gewitter vorbei. Außer dass Vanessa H. zwar noch im Krankenhaus – in welchem wollte er nicht sagen – behandelt werde, jedoch nicht lebensbedrohlich verletzt sei, hatte der Pressesprecher nur ausweichende Antworten gegeben, wobei er ob der Schnelligkeit der Fragen leicht überfordert gewirkt hatte. Der arme Mann war in den letzten Wochen aber auch reichlich beansprucht worden. Eine Pressekonferenz hatte die nächste gejagt. Nachdem er sich mit einem Blick zum Polizeipräsidenten vergewissert hatte, dass es nichts mehr zu sagen gab, beendete er die Konferenz mit der Bitte um Verständnis, dass man derzeit keine weiteren Fragen beantworten könne. Der Staatsanwalt neben ihm, der die ganze Zeit mit grimmigem Gesicht geschwiegen hatte, erhob sich als Erster, und dann marschierten sie wie an einer Schnur aufgereiht aus dem Raum, während im Saal die Lautstärke aufbrandete, als habe man an einem Regler gedreht. Jo machte Lara ein Zeichen, ihm zu folgen, und beeilte sich, zur Tür zu gelangen.
Vor dem Gebäude hatten sich Reporter postiert, die Kurzzusammenfassungen in die Kameras ihrer jeweiligen Sender sprachen; einer neben dem anderen, das Polizeipräsidium immer schön als Kulisse im Hintergrund. In wenigen Minuten schon würden die ersten Berichte über die Bildschirme flackern.
Lara sog mit tiefen Atemzügen die frische Luft in ihre Lunge und folgte Jo auf die andere Straßenseite.
»Hallo ihr zwei!« Christin winkte mit ihrer Mappe, stolperte über die unterste Stufe, fing sich und kam herüber. Hinter ihr schlenderte Patrick, die Finger nestelten am Reißverschluss der Steppjacke.
»Hast du ordentliche Fotos für uns? Ich will das dann gleich in den Online-Bereich stellen. Tom wartet
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