Das Siegel der Macht
informiert werden. Was sich hier auf der Reichenau zusammenbraut, kann der Bischof von Konstanz nicht ungeschehen machen.«
»Aber der Kaiser ist dazu imstande?«
»Wenn die kaiserliche Hofkapelle sich für die Vorgänge interessiert, kann wenigstens etwas unternommen werden. Erinnert Ihr Euch an die Sankt Galler Geschichte vor etwa zwanzig Jahren? Angeklagt war der leichte Lebenswandel der Mönche. Der große Kaiser Otto setzte eine Kommission aus Äbten und Bischöfen ein, um den Fall zu klären.«
»Hier steht nicht das Betragen der Mitbrüder zur Diskussion. Düstere Geheimnisse werden ausgebrütet, im letzten Jahr ist Bruder Maxim erschlagen worden.«
»Gerade deshalb müssen wir den Missus informieren.« Maurus dämpfte seine Stimme. »Ihr wisst ja, dass ich als Arzt ins Gästehaus gehen kann. Heute Morgen habe ich Ritter Alexius Andeutungen gemacht. Er ist darauf eingegangen. Vielleicht ahnt der Bote des Kaisers schon etwas.«
Unvermutet nahm der Klosterbruder ein Pergament zur Hand, starrte auf die Buchstaben und zischte zwischen den Zähnen: »Schaut nicht hin! Tut, als ob nichts wäre! Eine Fratze drückt sich ans Glasfenster.« Maurus murmelte vor sich hin und richtete den Blick auf das Schriftstück.
Pirmin nickte, verließ den Saal. Minuten später schlich er sich mit der Peitsche in der Hand von hinten an den Horcher heran.
Plötzlich schob Maurus das Fenster zur Seite und packte den Eindringling an den Haaren.
Pirmin holte aus, schlug tüchtig zu. Wieder und wieder knallte die Peitsche auf den Rücken des Opfers. Der Geschlagene schrie wie am Spieß.
Mit der Nachtruhe war es vorbei. Verschlafene Mönche eilten herbei, Lichter in der Hand.
»Hierher«, rief Maurus. »Wir haben im Scriptorium den Teufel gefangen. Leuchtet ihm ins Gesicht! Da, die Fratze Satans. Ob er einen Ziegenbart hat?« Gespannt richtete sich ein Dutzend Mönchsaugen auf den Ausgepeitschten. Maurus schob dessen Kapuze nach hinten. Pirmin erkannte das Gesicht als Erster und erschrak. »Ein Vertrauter Abt Witigowos!«
Maurus wandte sich ab und flüsterte Martin grinsend zu: »Wenn schon. Jedenfalls ist er ein Horcher. So an die Scheibe gedrückt, hat seine Fratze wirklich teuflisch ausgesehen.« Er zwängte sich durch die Mönchsgruppen aus dem Scriptorium. Niemand beachtete ihn. Alle folgten dem Lärm und strebten in Gegenrichtung der Schreibstube zu. Der Arzt schlüpfte durch eine Pforte ins Freie und näherte sich dem Gästehaus. Erfreulicherweise hatte er zu fast allen Gebäuden Zugang. Maurus beschloss, den günstigen Moment zu nutzen und öffnete das Haustor.
Alexius stand am schmalen Fenster seiner Schlafkammer und starrte in die Nacht. Wie sollte er es anstellen, hier auf der Reichenau Nachforschungen anzustellen? Zum Glück hatte er auf dem Rückweg von der Fallsteinburg den Hof gekreuzt und von Otto neue Aufträge erhalten. Mit einer kaiserlichen Botschaft für das Kloster Einsiedeln in der Tasche wirkte es glaubwürdig, wenn er auf der Reichenau als Passant übernachtete. Aber was nun? Plötzlich hörte Alexius seltsame Geräusche. Er lehnte sich aus dem Fenster. Hatte er wachgeträumt? Nein. Das schrille Geschrei kam vom Hauptgebäude. Durch die Scheiben des Scriptoriums sah er Licht flackern. Schatten bewegten sich. Alexius warf einen Kapuzenmantel über, eilte die Treppe hinunter. In der von Säulen gestützten Eingangshalle wäre er beinahe mit einer verhüllten Gestalt zusammengestoßen. Der Missus nahm eine Kerze vom Wandhalter und leuchtete dem Mann ins Gesicht.
»Maurus, der Mediziner!«, rief er verblüfft. »Müsstet Ihr nicht den Unglücklichen verarzten, der vorhin so kläglich geschrien hat?«
»Meine Mitbrüder und ich haben ihn mit dem Teufel verwechselt und tüchtig verprügelt. Ein Horcher.«
»Die Klosterbrüder der Reichenau haben Geheimnisse?«
»Schlimmere, als Ihr denkt. Wahrscheinlich kenne ich selbst nur einen Teil davon.«
»Kommt, wir müssen reden. Gehen wir hinauf in meine Schlafkammer.« Alexius zog den Mönch mit sich. Sie verschlossen sorgfältig die Tür und setzten sich in die hinterste Ecke.
Maurus sah sich staunend um. »Man sieht, dass unser Vater Abt das Gästehaus mit dem Gedanken an den Kaiser gebaut hat.« Im Eckkamin neben dem Federbett loderte ein Feuer. Der Boden war mit Teppichen belegt, schwere Vorhänge flankierten eine Steinbank mit farbigen Kissen. Freudig griff der Klosterbruder zu, als der Missus aus einer Karaffe zwei Becher mit Wein füllte.
Minutenlang
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