Das Sigma-Protokoll
Nazis mal eine Zeit lang die Kontrolle über Interpol. Manche Leute glauben, dass das immer noch nicht ganz ausgestanden ist. Würde mich nicht wundern, wenn Peralta von so einer Nazi-Hilfstruppe hier in Argentinien bezahlt würde. Und Ihr Priester...«
»... hat Stein und Bein geschworen, dass er nicht wüsste, wie man an Strasser rankommt. Was ich ihm nicht abnehme.«
»Ich wette, der hat keine Minute, nachdem Sie zur Tür raus waren, schon Strassers Nummer gewählt.«
Ben dachte nach. »Wenn das stimmt... Vielleicht könnte man sich irgendwie die Telefonrechnungen der Witwe beschaffen?«
»Das ist was für Machado. Vielleicht kann er das erledigen. Oder er kennt jemanden, der uns weiterhilft.«
»Apropos Machado. Wie sieht er eigentlich aus?«
»Keine Ahnung. Wir wollten uns draußen vor dem Lokal treffen.«
Draußen herrschte Hochbetrieb. Die Luft vibrierte, der Umgangston war rau. Auf dem Gehweg standen hohe Lautsprecher, aus denen Rockmusik plärrte. Irgendwo sang jemand eine Opernarie, und aus der benachbarten Cantina drang Tangomusik. Die Portenos flanierten über das Kopfsteinpflaster und begutachteten die Waren der fliegenden Händler. In den Bars und Restaurants herrschte ein stetiges Kommen und Gehen. Dauernd wurden Ben und Anna ohne ein Wort der Entschuldigung angerempelt.
Plötzlich sah Ben eine Gruppe großmäuliger Burschen, die alle um die zwanzig waren. Eine acht- oder neunköpfige Bande, die, aufgeputscht durch zu viel Alkohol und Testosteron, grölend und lachend direkt auf sie zusteuerte. Ben verstand nicht, was Anna ihm hastig zuflüsterte. Die Burschen starrten sie mit Blicken an, aus denen nicht nur bloße Neugier sprach. Ein paar Sekunden später waren sie eingekreist, und Ben spürte eine harte Faust im Magen.
Er riss beide Arme nach unten, um den Unterleib zu schützen. Dann traf ihn ein Fußtritt in der linken Niere. Er stürzte vorwärts in Richtung des Angreifers und hörte gleichzeitig Annas Schreien, das von weit her zu kommen schien. Er war eingekesselt,
von Anna abgetrennt. Trotz ihrer Jugend schienen die Schläger im Nahkampf bestens ausgebildet zu sein. Er konnte sich keinen Millimeter bewegen, von allen Seiten prasselten Schläge auf ihn ein. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Anna mit einer Kraft, die er ihr nie zugetraut hätte, einen Angreifer zur Seite schleuderte, worauf sich sofort zwei weitere Burschen auf sie stürzten. Ben versuchte sich zu befreien, hatte aber gegen das Trommelfeuer aus Faustschlägen und Fußtritten keine Chance.
Dann sah er ein Messer aufblitzen, und im nächsten Augenblick spürte er einen heißen, brennenden Schmerz in der Seite. Er packte die Hand mit dem Messer, riss sie ruckartig herum und hörte gleich darauf ein kurzes Aufstöhnen und dann das klirrende Geräusch von Metall auf Stein. Mit aller Kraft um sich boxend und tretend, spürte er auch einige Male, dass er traf, bekam aber gleichzeitig einen Ellbogen gegen die Brust und ein Knie in den Magen gerammt. Ein Tritt zwischen die Beine gab ihm schließlich den Rest.
Er klappte zusammen.
Dann hörte er Sirenengeheul, Annas Rufen, das Brüllen fremder Stimmen. Ein letzter Tritt gegen die Schläfe, Blutgeschmack, wild und planlos abwehrende Hände. Dann war es vorbei, er rappelte sich auf und sah, dass die Türen eines Streifenwagens aufflogen und zwei Polizisten auf ihn zuliefen.
Einer der Polizisten packte ihn und sagte: »Los, Tempo. Beeilen Sie sich! Die Gegend hier ist lebensgefährlich!« Der andere Polizist half Anna hoch und zerrte sie zum Streifenwagen. Sie fielen auf den Rücksitz des Streifenwagens und hörten hinter sich die Türen ins Schloss fallen; plötzlich waren das Rufen und Brüllen der Menge nur noch ein dumpfes Hintergrundgeräusch.
»Alles in Ordnung?«, fragte der Polizist, der am Steuer saß.
Ben stöhnte nur, und Anna brachte ein geflüstertes Gracias! heraus. Ihre Bluse war zerrissen, die Perlenkette verschwunden.
»Wir sind Amerikaner...«, sagte sie. Dann fiel ihr plötzlich etwas ein. »Scheiße, meine Handtasche ist weg. Das Geld.«
»Und dein Pass?«, keuchte Ben.
»Den hab ich im Hotel gelassen.« Sie schaute ihn an. »Alles okay, Ben? Herrgott noch mal, was hatte das jetzt zu bedeuten?« Das Auto setzte sich langsam in Bewegung.
»Keine Ahnung.« Der Schmerz in seinem Unterleib ließ langsam nach. Er betastete seine Seite und spürte das warme, klebrige Blut.
Der Streifenwagen fädelte sich in den fließenden Verkehr einer größeren Straße ein.
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