Das Sigma-Protokoll
Zürich fast erschossen hätte. Oder hatte alles schon mit Peters Verschwinden begonnen? Der Schmerz über Peters Ermordung in dem Schweizer Landgasthof kam wieder hoch. Doch die Erinnerung daran demoralisierte ihn nicht, sie gab ihm neue Kraft. Wenn man ihn jetzt töten würde, könnte er zumindest die Befriedigung mit ins Grab nehmen, alles für die Aufklärung des Mordes an seinem Bruder getan zu haben. Und wenn er seine Mörder auch nicht hatte überführen oder ihre Gründe hatte ausfindig machen können, so war er doch verdammt nah dran gewesen. Er würde weder Frau noch Kind zurücklassen, und die meisten seiner Freunde würden ihn bald vergessen haben. Angesichts der Geschichte der Welt ist ein Menschenleben so kurz wie das Aufleuchten eines Glühwürmchens in einer Sommernacht. Nein, er würde sich nicht selbst bemitleiden.
Er dachte an seinen Vater, wo immer er sich gerade aufhalten mochte, und bedauerte, dass er die ganze Wahrheit über ihn nie erfahren würde.
Eine menschliche Stimme holte ihn zurück. Es war die des älteren.
»Beantworten Sie mir ein paar Fragen. Was wollen Sie von Josef Strasser?«
Die Schläger wollten also doch reden.
Sie gehörten zu Strassers Schutztruppe.
Er wartete, ob Anna etwas zu sagen hatte. Als sie schwieg, redete
er: »Ich bin Anwalt. Aus Amerika. Ich bin wegen einer Testamentseröffnung hier und versuche Strasser zu erreichen, weil man ihm Geld vermacht hat.«
Stahl krachte gegen seine Schläfe.
»Sparen Sie sich Ihren Bockmist, ich will die Wahrheit.«
»Das ist die Wahrheit.« Bens Stimme zitterte. »Lassen Sie die Frau aus der Geschichte raus. Sie ist nur eine Freundin, hat mit der ganzen Sache nichts zu tun und ist nur mitgekommen, weil sie sich Buenos Aires mal anschauen wollte.«
»Erzählen Sie mir keinen Scheiß!«, brüllte der Ältere. Ben erhielt einen Schlag in die rechte Niere und kippte vornüber. Sein Kopf schlug hart auf den Boden auf. Der Schmerz war so heftig, dass er nicht mal stöhnen konnte. Dann traf ihn ein Schlag seitlich am Kopf - wahrscheinlich ein Fußtritt. Er schmeckte Blut und fürchtete, ohnmächtig zu werden.
»Aufhören!«, stöhnte er. »Ich erzähl Ihnen, was Sie wissen wollen.«
Mühsam zog er die Arme an seinem Körper hoch und legte die Hände schützend um den Kopf. Die Schmerzen waren unerträglich, das Blut tropfte ihm aus dem Mund auf den Jutestoff. Er wartete auf den nächsten Hieb, doch nichts passierte.
Dann wieder die Stimme des Älteren. Ruhig, sachlich. Als wollte er im Rahmen einer angenehmen Unterhaltung ein paar Dinge klarstellen. »Die Frau ist nicht einfach nur eine Freundin. Agent Anna Navarro arbeitet für das amerikanische Justizministerium. Über die Dame wissen wir Bescheid. Worüber wir gern mehr wissen würden, das sind Sie.«
»Ich bin so eine Art Assistent«, krächzte Ben. Fast im gleichen Augenblick traf ihn ein harter Tritt an der anderen Kopfseite. Der Schmerz schoss ihm in die Augen. Er war so überwältigend, dass er glaubte, ihn nicht mehr lange aushalten zu können.
Dann eine kurze Pause, eine Unterbrechung der Folter. Stille. Anscheinend warteten die Männer darauf, dass er wieder anfing zu reden.
Bens Gehirn arbeitete nur schwerfällig. Wer war der Auftraggeber dieser Männer? Der Mann, der sich Jürgen Lenz nannte? Sigma? Dafür kamen ihm ihre Methoden zu grobschlächtig vor. Das Kameradenwerk? Schon eher möglich. Mit welcher Antwort
würden sie sich zufrieden geben? Welche Antwort würde die Tortur beenden, konnte die Hinrichtung noch abwenden?
Jetzt sprach Anna. Er konnte sie kaum hören. Seine Ohren waren verstopft - wahrscheinlich mit Blut. »Wenn Sie für den Schutz von Strasser verantwortlich sind«, sagte sie mit erstaunlicher gelassener Stimme, »dann wird es Sie interessieren, warum ich in Buenos Aires bin. Ich bin hier, um Josef Strasser zu warnen. Und nicht, um seine Auslieferung zu betreiben.«
Einer der Männer lachte, aber sie sprach weiter, wobei sie ganz weit weg zu sein schien. »Haben Sie gewusst, dass man einige von Strassers Kameraden in den letzten Wochen ermordet hat?«
Keine Antwort. »Uns liegen Informationen vor, dass in Kürze auch Strasser getötet werden soll. Das Justizministerium der Vereinigten Staaten ist an seiner Festnahme nicht interessiert. Wenn dem so wäre, hätten wir das schon vor langer Zeit erledigt. Er mag für manche Scheußlichkeit verantwortlich sein, aber er wird nicht wegen Kriegsverbrechen gesucht. Ich will verhindern, dass man ihn
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