Das Todeskreuz
Mallorca seinen Ruhestand genießt. Ohne ihn wäre das alles nie
so weit gekommen. Mein Vater kannte ihn recht gut aus dem
Skatklub, in dem sie sich einmal in der Woche getroffen haben.
Aber nach Lauras Tod hat mein Vater kein Blatt mehr angerührt.
Dann kam Konrad und hat ihm was über die Sittler und Buchmann
erzählt, wovon mindestens die Hälfte seiner vermutlich
sehr blühenden Phantasie entsprang, denn Konrad war nie in
Darmstadt, sondern immer in Frankfurt tätig. Dass mein Vater
vor fünf Jahren an einem Herzinfarkt gestorben ist, wissen Sie ja
sicherlich längst. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun? Wollen
Sie vielleicht wissen, wie mein Tagesablauf so aussieht oder welches
Duschgel ich benutze?«
»Ein andermal vielleicht. Was mich aber doch interessieren
würde, ist, warum Sie ausgerechnet Jura als Studienfach gewählt
haben?«
»Warum sind Sie Polizist geworden?«, fragte Heiko Kröger
lächelnd zurück.
»Schönen Tag noch«, sagte Brandt und ging mit Durant
nach unten. Im Auto meinte er: »Sie waren ja so still. Wie
kommt's?«
»Ich habe nur zugehört«, antwortete sie mit nachdenklicher
Miene.
»Und was haben Sie gehört?«
»Irgendwas gefällt mir nicht an der ganzen Geschichte.«
»Und was konkret?« Brandt startete den Motor und fuhr los.
»Wenn ich das nur selbst wüsste. Das ist mir alles zu glatt. Der
Kröger weiß viel mehr, als er uns gesagt hat. Ist aber nur ein Gefühl.
«
»Hm.«
»Was hm?«
»Das ist offenbacherisch und heißt so viel wie: Ja, ich stimme
Ihnen zu. Zu glatt, aber wenn sich sein Alibi für Freitag als richtig
erweist, können wir ihn als Täter von der Liste streichen. Und
das wird es, wir brauchen uns eigentlich gar nicht erst die Mühe
zu machen, es zu überprüfen.«
»Seh ich genauso. Peter und Doris sollen das trotzdem mal
übernehmen. Ich ruf schnell an.«
»Warten Sie kurz. Tobias Hohl, Jungmannstraße in Griesheim?
«
»Hm.«
Brandt grinste, als er sagte: »Und das war jetzt eben frankfurterisch
für: Ja, genau?«
»Hm.«
Mittwoch, 10.50 Uhr.
Tut mir leid, aber Dr. Hohl hat noch vier Patienten und
muss gleich danach zu einem Fortbildungsseminar nach Hanau«,
sagte die Sprechstundenhilfe, eine große, stämmige Frau Mitte
zwanzig, mit kurzen schwarzen Haaren und ebenso schwarzen
Augen. »Machen Sie doch bitte einen Termin für die nächsten
Tage ...«
»Wir sind nicht hier, um unsere Zähne behandeln zu lassen.
Und Dr. Hohl wird uns wohl oder übel ein paar Minuten seiner
kostbaren Zeit opfern müssen«, entgegnete Brandt.
»Nehmen Sie einen Moment im Wartezimmer Platz.«
»Nein, dort hinten um die Ecke ist doch bestimmt sein Refugium.
«
Ohne etwas zu erwidern, verschwand sie hinter der Milchglastür
des Behandlungszimmers, kehrte kurz darauf zurück und
sagte: »Gehen Sie da hinten rein, er kommt gleich.«
Sie warteten keine zehn Minuten, bis Tobias Hohl abgehetzt
und mit Schweiß auf der Stirn in das Zimmer gestürmt kam. Er
war etwa einsneunzig, schlank, mit modern geschnittenen dunkelbraunen
Haaren, ungewöhnlich großen blauen Augen und einem markant männlichen Gesicht, das eine satte Bräune aufwies,
die er entweder aus einem kürzlich im Süden verbrachten
Urlaub mitgebracht hatte, oder er war Dauergast in einem Solarium.
Er hatte gepflegte Hände, mit langen schmalen Fingern,
Künstlerhände. Alles in allem machte er einen freundlichen,
sympathischen Eindruck, auch wenn er wie jetzt unter enormem
Stress stand. Ein Mann, dem die Frauen bestimmt in Scharen
nachlaufen, dachte Durant, denn sie konnte nicht einmal den Abdruck
eines Rings an seiner Hand erkennen und schloss daraus,
dass er nicht verheiratet war.
»Sie sind von der Polizei? Darf ich Ihre Ausweise sehen?«,
fragte er nicht unhöflich. »Nur der Form halber.«
»Bitte«, sagten Brandt und Durant gleichzeitig und zeigten sie
vor
.
»Entschuldigung, ich bin etwas außer Atem, eine ziemlich
anstrengende Patientin, wenn Sie verstehen.« Er holte tief
Luft und fuhr fort: »Aber muss das unbedingt jetzt sein? Ich
habe ...«
»Ja, wir wissen, Sie stehen unter Zeitdruck, und wir wollen
Sie auch gar nicht lange aufhalten«, unterbrach ihn Brandt. »Geben
Sie uns Ihre Adresse, dann kommen wir oder einer von uns
im Laufe des Tages oder Abends bei Ihnen vorbei.«
»Danke. Ich wohne direkt über der Praxis und bin spätestens
gegen sechs wieder zu Hause. Am Klingelschild steht nur T. H.,
nicht, dass Sie lange suchen.
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