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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Gärtnerei und natürlich ihren Peter. Viel fehlte nicht, und sie hätte mir ihre Sparbücher zur Einsicht vorgelegt. Vor Verlegenheit fast im Befehlston, forderte Peter mich auf, mit ihm in die Treibhäuser zu gehen.
    Der Weg dorthin führte durch die Baumschule. Die tropfnassen Bäume und Büsche flirrten im Abendlicht. Peter nannte sie alle beim Namen, kannte die Sorten und Eigenarten, blieb hier stehen und dort. Die Luft war frisch und kühl. Ich drängte weiter.
    Im Inneren des Treibhauses staute sich die Wärme vieler Jahre. Peters Großvater hatte dieses erste Haus gebaut, der Vater ein zweites, Peter würde weitere bauen. War es das Licht, der Geruch, die Luft? Luft, die sich an uns schmiegte wie ein lebenswarmes, pulsierendes Fell, Duft nach geheimen Moosen, erdigen Spalten, strengen Träumen, feuchtem Laub und wilden Kräutern, fernen Welten, Geahntem, Unbekanntem, Verbotenem. Und das Licht, dieses grüne Gold, dieser glimmernde Dämmerschein, dieser weltvergessene, abgeschiedene Glanz, seine müde, matte Verlockung, Glanz und Farbe alter Heiligenbilder, verdunkelt vom Rauch unzähliger gnadenflehender Kerzen. Über allem ein Murmeln, Rauschen, Flüstern, Rieseln wie aus uralten Zeiten. Ich tat ein paar Schritte vorwärts, schlafwandlerisch, träge, willenlos, widerstandslos gab ich mich hin, dem Duft, dem Licht, der Luft, den Lauten. Hier wollte ich sein.
    Peter stand neben mir. Ohne sein Großvaterbuch schien er mir fremder und näher zugleich. Er war kein Sprachrohr mehr, er war einfach da. So wie das schillernde Licht, der berückende Duft, das betörende Rauschen. Hier, ja, hier und jetzt sollte es geschehen. Ich faßte Peter beim Oberarm kurz unterhalb der Schulter, schloß die Augen und begann: >Singet leise, leise, leise, singt ein flüsternd Wiegenlied .. .< Sprach eindringlich und mit immerfort emporgerecktem Gesicht und geschlossenen Augen, >von dem Monde lernt die Weises während ich auf Peters Lippen wartete, >Summen, Murmeln, Flüstern, Rieseln<.
    Dat is dä Sprenger, sagte Peter. Automatisch, janz modern.
    >Der so still am Himmel zieht*, sagte ich.
    Nä, dä Sprenger.
    Hätte er geschwiegen, wer weiß, was aus mir geworden wäre.
    Dat is dä Sprenger, sagte er noch einmal. Und der erste Kuß und Frau Peter Bender, geborene Palm, versickerten umgehend und für alle Zeiten in der vollautomatischen Rieselanlage von Bumke & Sohn KG. Peter führte mir alle Feinheiten der Berieselung vor, ließ die Anlage in hohen, harten und weichen, flachen Bögen kommen, versuchte auch ein paarmal, mich anzuspritzen, was er für einen großen Spaß hielt.
    Ich kriegte keine Luft mehr. An der Türe prallte ich mit Peters Mutter zusammen. Seid ihr schon soweit? fragte sie, die Augenganz und gar von der lauernden Bitterkeit ihres Mundschnitts verdunkelt. Ich müsse nach Hause, log ich. Die Mutter mache sich Sorgen. Da mußte Frau Bender nicken. Peter begleitete mich nicht. Ich bezahlte für mich selbst.
    Hervorragend, sagte ich, als die Mutter fragte, wie der Kuchen bei Benders geschmeckt habe. Nein, das Rezept für die gedeckte Apfeltorte habe ich mir nicht geben lassen. Ein Versäumnis, das die Mutter aus der Fassung brachte.
    Im Holzstall zerfetzte ich die Karte aus Spanien und ließ die Schnipsel ins Plumpsklo rieseln. Vertiefte mich in >Der Spinnerin Nachtlied<, bis ich sie schlagen hörte, die Nachtigallen, und die Spinnräder schnurrten und Sang und Schall mein Herz zur Ruhe brachten. Ich war in Sicherheit. Um ein Haar hätte ich ein Treibhaus geküßt.
    Peter brachte mir am nächsten Tag das Rezept mit. Ich hätte es wohl vergessen, habe seine Mutter gesagt. Ich gab es meiner Mutter, die das für ein gutes Zeichen nahm, eine halbe Verlobung.
    Über die große Familie der Lippen- und Rachenblütler, über Löwenmaul und Johanniskraut kamen wir bis zu den Dosten. Am Tag, den wir für die kleine Familie der Wurzelwürger vorgesehen hatten, stand meine Mutter neben Peter am Fabriktor.
    Tschö, Peter, sagte sie kurz, packte meine Hand und zog mich fort, einen Brief mit einer bunten fremdländischen Marke schwenkend.
    Du küss jitz heem, fuhr sie mich an. Ich fühlte die Blicke der Frauen im Rücken, wie ich hier abgeholt wurde, als wäre ich ein Kindergartenkind. Peter machte noch ein paar Schritte neben mir her, bis die Mutter auch ihn anherrschte: Et - damit war ich gemeint - kann dir jo morje verzälle, wat en däm Breef steht. Ens Iure, ob de dann noch Spaß an däm häs.
    Peter blieb zurück. Die Mutter

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