Das verletzte Gesicht
dass von ihm keine Gefahr droht. Ein Duft nach Sandelholz erfüllte die kleine Kabine.
Während sie weiter hinabfuhren, hielt er die schmalen, unberingten Hände vor sich gefaltet. Im Gegensatz dazu fingerte Lou Kopp in seiner Tasche an Münzen herum. Im Erdgeschoss angelangt, hielt der Fremde ihr in einer ritterlichen Geste die Tür auf. Geschmeichelt wollte sie an ihm vorbeigehen. Plötzlich spürte sie Lou Kopps Hand auf ihrem Arm und verharrte befangen. Der Blick des Mannes wanderte von Lous Hand auf ihrem Arm zu ihren Augen. „Wollten Sie hinaus?“ fragte er höflich mit tiefer Stimme und dem deutlichen Unterton, dass er ihr wenn nötig helfen würde.
„Ich sagte, ich fahre Sie heim“, beharrte Lou und griff fester zu. Er war ihr Chef, und sie fügte sich seiner Autorität.
„Danke“, antwortete sie dem Fremden. „Alles in Ordnung.“
Der Mann wirkte skeptisch, nickte aber wortlos und stieg aus. Die Türen glitten hinter ihm zu.
„Lausiger Latino!“ schimpfte Lou. „Für was hält der sich?“
Für einen Gentleman, dachte sie und blickte mit dem Gefühl, völlig verlassen zu sein, auf ihre Schuhspitzen.
Schweigend fuhren sie eine weitere Etage hinab. Wortlos führte Lou Kopp sie in die dämmerig beleuchtete Garage. Die schmutzigen Zementwände waren mit allerlei Schmierereien verunziert, und die kalte Luft war mit Abgasen gefüllt. In einer Ecke erreichten sie einen großen grauen Oldsmobile. Lou öffnete die Türen, und sie stiegen ein.
Lou ließ den Motor an, doch der keuchte, spuckte und erstarb in der bitteren Kälte. „Verdammt, ist das kalt. Man kann kaum das Metall anfassen.“
Charlotte antwortete nicht, sondern krümmte die Zehen in ihren Schuhen. Schließlich sprang der Motor an, lief jedoch so ungleichmäßig, dass der ganze Wagen vibrierte. „Guter alter amerikanischer Wagen“, triumphierte Lou und rieb sich die Hände. Sein Atem kondensierte zu Dampfwolken, und ein Geruch nach Brandy hing in der Luft. Charlotte drückte die Nase in ihren Mantelkragen und steckte die eisigen Finger unter die Arme. Heute war eine jener arktischen Chicagoer Nächte, wo einem die Nase zufror.
„Ja, saukalt ist das“, wiederholte er und sah sie mit einem Funkeln in den Augen an. „Und der Wind macht es noch eisiger.“
„Scheint so“, bestätigte sie scheu und zitterte. Die schwache Beleuchtung in der Garage ließ die Haut blass und kränklich erscheinen. „Vielleicht sollten wir warten, bis der Motor warm gelaufen ist.
Lou holte einen kleinen Flachmann aus seiner Westentasche, der silbern im Licht aufblitzte. „Immer vorbereitet sein“, sagte er und schraubte zwinkernd die Kappe ab. „Das wird uns ein bisschen wärmen, was?“
Charlotte schüttelte den Kopf, als er ihr davon anbot. Sie mochte jetzt keinen Alkohol.
Stirnrunzelnd setzte er die kleine Flasche an die Lippen und trank einen Schluck. Danach seufzte er behaglich und sah sie forschend an. „Sie denken doch nicht etwa, dass ich Sie betrunken machen will, oder?“
„Natürlich nicht, Mr. Kopp“, versicherte sie rasch, peinlich berührt, weil er sie für eine prüde Gans hielt.
„Ich wollte Sie nur ein wenig aufwärmen und etwas weihnachtliche Fröhlichkeit verbreiten.“ Er nahm den Flachmann wieder an die Lippen und trank. „Wie wäre es mit etwas Musik?“ Er langte hinüber und schaltete das Radio ein. Wieder erklang „A Holly Jolly Christmas“.
„Ist der Motor noch nicht so weit?“ fragte sie mit hoher, angespannter Stimme.
„Nein, der läuft noch nicht rund genug. Draußen ist es kälter als ‘ne Hexentitte.“ Sein Blick wanderte zu ihren Brüsten. „Wo wir gerade davon reden. Sie hatten heute Abend ein sehr schönes Kleid an. Sie sind ein richtiger Wolf im Schafspelz, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
Charlotte drückte sich tiefer in den Sitz.
„Sie sind mir vorher nie aufgefallen“, fuhr er fort. „Sie sind ein richtig nettes Mädchen, richtig nett, wissen Sie? Wie heißen Sie noch mal?“
„Charlotte. Charlotte Godowski.“
„Charlotte …“ Er sagte den Namen langsam. „Charl…“ Er hielt inne und lächelte erstaunt. „Charley?“
Sie sah aus dem Fenster und erkannte ihr pferdeähnliches Spiegelbild in der Scheibe.
„Wie kommt es, dass Sie von allen Charley gerufen werden, wo Sie einen so schönen Namen haben? Charlotte klingt so, ich weiß nicht, elegant.“
„Der Name passt nicht richtig zum Gesicht“, erwiderte sie.
„He, was reden Sie denn da?“
Sie war verblüfft, dass
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