Das Verlorene Labyrinth
töricht kannst du doch nicht sein? So ein Risiko würdest du nicht eingehen?« »Ich ...«
»Antworte mir.«
»Ich hielt es für das Klügste ...«
»Das Klügste«, brauste er auf. »Das darf doch nicht ...«
Simeon lachte. »Noch immer der alte Hitzkopf, Bertrand.«
Alaïs unterdrückte ein Lächeln und legte eine Hand auf den Arm ihres Vaters.
»Paire«, sagte sie sanft. »Ihr seht, ich bin in Sicherheit. Mir ist nichts geschehen.«
Er blickte nach unten auf ihre zerkratzten Hände. Rasch zog Alaïs ihren Mantel darüber. »So gut wie nichts. Bloß ein harmloser Kratzer.«
»Warst du bewaffnet?«
Sie nickte. »Natürlich.«
»Und wo ist dann ...«
»Ich hielt es für unklug, in dem Aufzug durch die Straßen von Besiers zu laufen.«
Alaïs blickte ihn mit Unschuldsmiene an.
»Soso«, knurrte er halblaut. »Und dir ist auch wirklich nichts Schlimmes widerfahren? Du bist unverletzt?«
Alaïs spürte ihre geprellte Schulter, aber sie blickte ihn ruhig an. »Ja«, log sie.
Er blickte finster drein, schien aber ein wenig besänftigt. »Woher wusstest du, dass wir hier sind?«
»Das habe ich von Amiel de Coursan erfahren, dem Sohn des Seigneur, der so großherzig war, mir Geleit zu geben.«
Simeon nickte. »Er wird hier in der Gegend hoch geachtet.« »Du hast großes Glück gehabt«, sagte Pelletier, der noch immer nicht gewillt war, die Sache auf sich beruhen zu lassen. »Großes Glück, obwohl du sehr, sehr töricht warst. Du hättest getötet werden können. Ich kann immer noch nicht fassen, dass du ...«
»Du wolltest ihr erzählen, wie wir uns kennen gelernt haben, Bertrand«, sagt Simeon leichthin. »Die Glocken läuten nicht mehr, also muss der Rat sich versammelt haben. Uns bleibt nicht viel Zeit.«
Einen Augenblick lang grollte ihr Vater weiter. Dann sanken seine Schultern herab, und Resignation breitete sich auf seinem Gesicht aus.
»Also gut, also gut. Da ihr beide es wollt.«
Alaïs wechselte mit Simeon einen Blick. »Er trägt den gleichen Ring wie Ihr, Paire.«
Pelletier lächelte. »Simeon wurde im Heiligen Land von Harif rekrutiert, genau wie ich, nur einige Zeit früher, sodass unsere Wege sich nicht kreuzten. Als die Bedrohung durch Saladin und seine Heerscharen größer wurde, schickte Harif Simeon zurück in seine Heimatstadt Chartres. Ich folgte wenige Monate später nach und nahm die drei Pergamente mit. Die Reise dauerte über ein Jahr, doch als ich endlich in Chartres ankam, wartete Simeon auf mich, genau wie Harif es versprochen hatte.« Er lächelte bei der Erinnerung daran. »Ach, wie habe ich nach dem hellen Licht von Jerusalem die Kälte und Nässe gehasst. Alles war so düster, so trostlos. Aber Simeon und ich verstanden uns auf Anhieb. Seine Aufgabe war es, die drei Pergamente in drei einzelne Bücher zu binden. Und während er daran arbeitete, lernte ich seine Bildung, seine Weisheit und seinen Humor über die Maßen schätzen.«
»Bertrand, du übertreibst«, murmelte Simeon, doch Alaïs sah ihm an, dass ihm die Komplimente sehr gefielen.
»Was hingegen Simeon an einem unkultivierten, ungebildeten Soldaten fand«, fuhr Pelletier fort, »musst du ihn schon selbst fragen. Dazu kann ich nichts sagen.«
»Du warst lern willig, mein Freund, und hattest ein offenes Ohr«, sagt Simeon leise. »Das hat dich von den meisten Menschen deines Glaubens unterschieden.«
»Ich wusste die ganze Zeit, dass die Bücher getrennt werden sollten«, nahm Pelletier den Faden wieder auf. »Sobald Simeon mit seiner Arbeit fertig war, erhielt ich Nachricht von Harif, dass ich in meine Geburtsstadt zurückkehren sollte, wo ich als Intendant des neuen Vicomte Trencavel gebraucht wurde. Wenn ich jetzt nach so vielen Jahren zurückschaue, ist mir unbegreiflich, wieso ich nie gefragt habe, was mit den anderen beiden Büchern geschehen sollte. Ich nahm an, dass Simeon eines behalten sollte, aber das wusste ich nicht mit Sicherheit. Und das andere? Danach habe ich nie gefragt. Heute beschämt mich meine mangelnde Wissbegier. Aber ich nahm einfach nur das mir anvertraute Buch und reiste gen Süden.«
»Schäme dich nicht«, sagte Simeon sanft. »Du hast getan, worum du gebeten wurdest, in gutem Glauben und mit frohem Herzen.«
» Alaïs , bevor du mit deinem Erscheinen alle andere Gedanken aus meinem Kopf verdrängtest, sprachen wir über die Bücher.« Simeon räusperte sich. »Das Buch«, sagte er. »Ich habe nur eins.«
»Was?«, fragte Pelletier scharf. »Aber Harifs Brief ... Ich habe
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