Das Verlorene Labyrinth
Schultern.
Die Tür schloss sich mit einem bedrohlichen, schweren Schlag. Sie erstarrte. Einen Moment lang herrschte Stille, dann das Geräusch von jemandem, der immer näher auf sie zukam. Shelagh machte sich ganz klein auf ihrem Stuhl. Er blieb direkt vor ihr stehen. Sie spürte, wie sich ihr ganzer Körper zusammenzog, als zögen Tausende von winzigen Drähten an ihrer Haut. Wie ein Raubtier, das seine Beute umkreist, ging er ein paarmal um den Stuhl herum, dann ließ er seine Hände auf ihre Schultern fallen.
»Wer sind Sie? Bitte nehmen Sie mir doch wenigstens die Kapuze ab.«
»Wir müssen uns noch einmal unterhalten, Dr. O'Donnell.« Eine Stimme, die sie kannte, kalt und präzise, ging ihr durch und durch, messerscharf. Jetzt wusste sie, dass es der Mann war, den sie erwartet hatte. Den sie gefürchtet hatte.
Plötzlich riss er den Stuhl nach hinten.
Shelagh schrie auf, stürzte machtlos in den leeren Raum. Aber sie schlug nicht auf. Zentimeter vor dem Boden fing er sie ah, so- dass sie fast flach auf dem Rücken lag, den Kopf im Nacken, die Füße in der Luft.
»Sie sind nicht gerade in der Position, irgendetwas zu erbitten, Dr. O'Donnell.«
Er hielt sie, wie es ihr vorkam, schier endlos lange so. Dann riss er den Stuhl urplötzlich wieder nach oben. Shelaghs Kopf schnellte durch die Wucht nach vorn. Sie verlor die Orientierung wie ein Kind beim Blindekuhspiel.
»Für wen arbeiten Sie, Dr. O'Donnell?«
»Ich krieg keine Luft«, flüsterte sie.
Er überging das. Sie hörte ihn mit den Fingern schnippen und dann das Geräusch, wie ein zweiter Stuhl vor sie gestellt wurde. Er setzte sich und zog sie dicht an sich heran, sodass seine Knie gegen ihre Oberschenkel drückten.
»Fangen wir noch einmal am Montagnachmittag an. Warum haben Sie Ihre Freundin ausgerechnet an der Stelle der Ausgrabungsstätte arbeiten lassen?«
»Alice hat nichts damit zu tun«, rief sie. »Ich hab sie nicht dorthin geschickt, sie ist einfach von allein hingegangen. Ich wusste es nicht einmal. Es war einfach ein Zufall. Sie weiß gar nichts.« »Dann erzählen Sie mir, was Sie wissen, Shelagh.« Aus seinem Munde klang ihr Name wie eine Drohung.
»Ich weiß gar nichts«, rief sie. »Ich hab Ihnen am Montag alles gesagt, was ich weiß, ich schwöre.«
Der Schlag kam aus dem Nichts, traf ihre rechte Wange und schleuderte ihren Kopf nach hinten. Shelagh schmeckte Blut im Mund. Es lief ihr über die Zunge und dann die Kehle hinab. »Hat Ihre Freundin den Ring gestohlen?«, fragte er seelenruhig. »Nein, nein, bestimmt nicht, ich gebe Ihnen mein Wort.«
Er wurde lauter. »Wer dann? Sie? Sie waren als Einzige lange genug in der Nähe der Skelette. Das hat Dr. Tanner mir erzählt.« »Warum hätte ich ihn denn nehmen sollen? Er hat keinerlei Wert für mich.«
»Warum sind Sie so sicher, dass Dr. Tanner ihn nicht genommen hat?«
»So was würde sie nicht tun. Ganz sicher nicht«, rief sie. »Es waren viele Leute in der Höhle. Und jeder von ihnen hätte ihn nehmen können. Dr. Brayling, die Polizei ...« Shelagh verstummte abrupt.
»Ganz recht, die Polizei«, sagte er. Sie hielt den Atem an. »Von denen hätte jeder den Ring nehmen können. Yves Biau, zum Beispiel.«
Shelagh erstarrte. Sie hörte ihn ein- und ausatmen, ruhig und ohne Hast. Er wusste es.
»Der Ring war nicht da.«
Er seufzte. »Hat Biau Ihnen den Ring gegeben? Um ihn dann weiterzuleiten?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, brachte sie heraus.
Er schlug erneut zu, diesmal mit der Faust, nicht mit der flachen Hand. Blut spritzte ihr aus der Nase und lief am Kinn herab. »Eines verstehe ich nicht«, sagte er, als wäre nichts passiert. »Wieso hat er Ihnen nicht auch das Buch ge geben, Dr. O'Don nell?«
»Er hat mir gar nichts gegeben«, würgte sie hervor.
»Dr. Brayling sagt, Sie haben das Ausgrabungshaus am Montagabend verlassen, und Sie hatten eine Reisetasche dabei.«
»Er lügt.«
»Für wen arbeiten Sie?«, fragte er sanft, freundlich. »Dann lassen wir Sie in Ruhe. Wenn Ihre Freundin nichts mit der Sache zu tun hat, besteht kein Grund, warum ihr etwas zustoßen sollte.«
»Sie hat nichts damit zu tun«, wimmerte Shelagh. »Alice weiß gar nichts ...«
Shelagh zuckte zusammen, als er ihr eine Hand an die Kehle legte und sie zunächst streichelte, wie eine zynische Liebkosung. Dann begann er zuzudrücken, fester und fester, bis sie das Gefühl hatte, als schlösse sich ein Eisenring um ihren Hals. Sie warf sich hin und her, versuchte nach Luft zu
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