Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
Larenias Anblick.
„Ein einziges Mal möchte ich erleben, dass du eine Waffe in die Hand nimmst und unverletzt zurückkommst. Aber nein, das ist bei dir nicht möglich. Du lässt dich halb aufschlitzen, rennst blutend durch halb Anoria und ich soll es dann richten“, obwohl er versuchte, mürrisch zu klingen, stand deutliche Sorge in seinen Augen. Larenia raffte sich zu einem schwachen Lächeln auf, bevor sie sich auf die nächstbeste Sitzgelegenheit fallen ließ.
„Nun?“, Philipus zeigte sich von ihrem erbärmlichen Anblick wenig beeindruckt.
„Ich habe alles getan, was in meiner Macht stand, aber für Pierre kam jede Hilfe zu spät. Niemandem wäre mit einem weiteren Opfer gedient gewesen.“
Eine Weile saßen sie in betretenem Schweigen da. Schließlich fragte François: „Lebt er noch?“
„Ich weiß es nicht“, nervös und unruhig sprang Larenia auf und begann, auf und ab zu gehen, „ich kann es aus dieser Entfernung nicht mit Sicherheit sagen. Aber ich hoffe es.“
„Und wenn du nicht bald mit dem Gerenne aufhörst, Larenia, wirst du mit großer Wahrscheinlichkeit bald umkippen. Damit wäre ebenfalls keinem gedient. Also setz dich hin und halt still!“
Erstaunt über Felicius’ ungewohnt lauten Tonfall setzte sie sich.
„Pierre lebt und es geht ihm gut“, Arthenius, der bisher im Hintergrund gestanden hatte, trat nun hinter Larenia und legte eine Hand auf ihre Schulter. Sie tauschten einen kurzen Blick, einen Augenblick wortloser Kommunikation, der die anderen nicht zu folgen vermochten. „Er ist nicht allzu schwer verletzt. Und die Brochonier werden ihn nicht töten, denn lebend ist er ihnen von größerem Nutzen.“
Julius und Elaine beobachteten die Szene mit großen Augen. Nie zuvor hatten sie die Gildemitglieder unter sich erlebt. Fasziniert beobachteten sie, wie Felicius seine Heilkräfte einsetzte und wie sich die tiefen Schnittwunden an Larenias Arm schlossen und verblassten, bis nicht einmal mehr eine Narbe zu sehen war. Endlich lehnte sich Felicius mit einem erleichterten Aufatmen zurück. Erschöpft schloss er die Augen.
„Und vergiss nicht“, flüsterte er mit matter Stimme, „Verletzungen kann ich heilen, aber gegen Erschöpfung und Blutverlust kann ich nichts tun.“
Larenia antwortete mit einem kurzen Lächeln und wollte aufstehen, aber Arthenius hielt sie mit sanfter Gewalt zurück.
In diesem Moment schien sich Philipe wieder an Julius’ und Elaines Anwesenheit zu erinnern. Er stand auf und führte sie zu ihrem Schlafplatz.
Am nächsten Morgen ritten sie alle zusammen weiter nach Arida. Nach einer durchschlafenen, ruhigen Nacht fühlte Julius sich besser, obwohl er Angst hatte vor der Auseinandersetzung mit seinem Vater. Doch vom Hinauszögern wurde die ganze Angelegenheit nicht angenehmer. Außerdem war ihm klar, dass er den Zorn des Königs verdient hatte.
Julien sagte wenig zu ihrem Ausflug. Am Ende befahl er Julius, sich wieder um seine Aufgaben zu kümmern. Mit Elaine sprach der König lange Zeit allein. Schließlich stimmte sie zu, nach Askana, der Festung Aquaniens, zu gehen. Die Residenzstadt der aquanischen Fürsten war der sicherste Ort in ganz Anoria. Zudem erschien es Julien als eine gute Idee, Elaine und Julius für eine Weile zu trennen. Wann immer sie zusammen waren, vergaß Julius alles, was er je gelernt hatte. Und einen unüberlegt handelnden Heerführer konnte Julien zurzeit nicht gebrauchen.
Niemand, weder die Anorianer noch die Gilde, erwähnte ihre missglückte Reise nach Komar noch einmal in ihrer Gegenwart.
Fünf Tage vergingen ohne größere Ereignisse. Inzwischen war der zehnte Tag des Monats Oktavia angebrochen. Die Brochonier ließen nichts von sich hören. Sie starteten keine neuen Angriffe. Tatsächlich schienen sie sich mit der Eroberung von Terranien und der Besetzung von Komar zufriedenzugeben. Firanien und Aquanien waren noch frei. Es gelangten keinerlei Botschaften nach Arida. Julien wusste, dass sich die Gildemitglieder deshalb Sorgen machten. Sie hatten geglaubt, die Brochonier würden versuchen, sie zu erpressen. Aber nichts geschah.
An diesem Abend stolperte Arthenius beinahe über Larenia. Sie saß auf dem Boden im dunklen Gang des Zauberturms und schien ihn nicht einmal zu bemerken. Seit ihrer Rückkehr aus Ariana hatte Arthenius sie sorgsam beobachtet. Obwohl sie nicht darüber sprach, konnte er sich lebhaft vorstellen, wie sie die Brochonier aufgehalten hatte. Er befürchtete, sie würde wieder die
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