Das Vermaechtnis des Caravaggio
ihn
unterstützen. Selbst der Papst würde von Pater Leonardus abrücken müssen.
„Was ich Euch fragen wollte, Pater!
Welches Verhältnis hatte Michele zu seiner Schwester?“
Mit der rechten Hand musste sich
Pater Leonardus jetzt an einem der beiden Taue festhalten, die längs zum Schiff
gespannt waren, um das Gehen zu erleichtern, wenn sich die See rau und
ungemütlich gebärdete. Ob es sich dabei um eine Schwäche oder um eine
tatsächliche Notwendigkeit handelte, konnte sie nicht entscheiden. Sie selbst
drückte sich mit dem Rücken gegen den Mast und versuchte die
Schlingerbewegungen des Schiffes auszugleichen.
„Was interessiert Euch unsere
Familiengeschichte?“
„Liebte er sie?“
„Natürlich. Wie ein älterer
Bruder.“
„Darüber hinaus?“
„Verstehe ich recht? Ihr wollt ihm
eine Beziehung zu seiner Schwester unterstellen? Lächerlich.“
In Nerinas Ohren klang die Stimme
des Paters zwar angestrengt, aber dennoch ehrlich. Konnte sie ihm trauen? Logen
Priester nicht mit mehr Übung als andere Menschen, da sie tagtäglich etwas
verkündeten, was dem Verstand zuwiderlief, wenn sie die Herrschaft ihres
Standes als unverrückbar und ewig von der Kanzel predigten, wenn sie die
Gläubigen in die Gefolgschaft des obersten Hirten, des Papstes, züchtigten,
während die Kurie selbst über Leichen und Hunger, über Armut und Tod einfach
hinwegschritt?
„Ich weiß, dass er einen Adligen
erschlagen hat, den Spross einer bekannten Familie, der seiner Schwester den
Hof gemacht hat!“, sagte sie in die anstehenden Böen hinein.
Ihrer Eröffnung folgte eine kurze
Stille, als müsse sich der Pater erst darauf besinnen, was er ihr sagen durfte.
Die Windstöße, die immer wieder ins Segelzeug fuhren, ließen an Kraft nach oder
hatten das Schiff zumindest so beschleunigt, dass sie bald kaum mehr zu spüren
waren. Ihre Haut spannte unter dem feinen Wasserstaub aus Salzwasser. Oder war
es bereits die Erwartung?
„Sie war ein Spielzeug für den
Bruder Fra Domenicos. Jung genug, um keine Erfahrung zu haben, und alt genug,
um ans Heiraten zu denken. Aber der Standesunterschied. Der Adlige wollte sie
nicht heiraten, wollte es nie – aber ...“
Kurz zögerte Pater Leonardus, als
fiele ihm die Eröffnung schwer. Dann zog er sich am Seil zu Nerina heran, um
ihr näher zu sein. Seine Stimme fiel ins Flüstern.
„... gehört das mit zur Abmachung,
zu unserem Geschäft? Oder ist es nur wieder eine Eurer Launen ...?“
Vorwurfsvoll sah Nerina Pater
Leonardus an, bis sie begriff, dass er kaum etwas sehen konnte und ihre Gesichtszüge
nur ebenso schemenhaft wahrnahm wie sie die seinen.
„Es gehört dazu!“
„Nun denn. Er schwängerte sie, eine
Vierzehnjährige! Ein Kind beinahe.“
Nerina erstarrte. Michele hatte
also den Vater erschlagen, den Vater des Kindes.
„Ich weiß, was Ihr denken müsst.
Aber es war nicht so. Er forderte ihn zu einem Duell – und traf seinen Rivalen
tödlich. Aber es hätte niemals eine Heirat zwischen den Merisi und den Di Russo
gegeben. Unser Vater lebte nicht mehr, und Michele nahm als ältester Bruder die
Stelle des Familienoberhaupts ein. Er musste die Schande der Familie rächen. Es
war seine Pflicht.“ Ein Kind also. Nerina musste tief durchatmen und sich jetzt
ebenfalls festhalten. Der Bruder Fra Domenicos hatte Micheles Schwester
Caterina geschwängert. In ihr stieg ein Verdacht auf, ein Gefühl keimte, für
das sie noch kein rechtes Wort fand. „Außerdem hat Michele dafür gebüßt,
Nerina.“
Ihre Knie knickten ein, und sie
konnte sich nur deshalb halten, weil Pater Leonardus beherzt zugriff und sie
mit einer Hand zu ihrem Verschlag geleitete.
In diesem Augenblick überwältigte
sie ein Gefühl des Ekels. Mit heftigem Würgen erbrach sie sich aufs Deck, bis
ihr Magen sich gänzlich entleert hatte und nur noch bittere Galle aufstieg.
Ruhig hielt Pater Leonardus neben ihr aus und öffnete schließlich die Tür, um
sie in ihren Verschlag zu führen.
Als Nerina ihm half, die Tür
aufzustoßen, trat ihnen Michele entgegen, dessen Gesicht bis zum Bart hin weiß
im Mondlicht leuchtete.
„Nimm die Finger weg!“, knurrte er
nur und fasste Nerina unter die Schultern. Sie verspürte kein Bedürfnis, sich
und den Pater zu verteidigen. Sie wollte in ihre Hängematte, wollte schlafen
und über nichts nachdenken. „Ich helfe ihr!“
Wortlos reichte Pater Leonardus sie
weiter.
„Und jetzt raus!“
Michele fauchte seinen Bruder
regelrecht an und schlug die Tür hinter
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