Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
weiß oder schwarz, waren in Kittel gehüllt, wie man sie sich ärmlicher kaum vorstellen konnte. Artig kamen sie zu Alma, gaben ihr einen höflichen Begrüßungskuss, nannten sie Tante und wandten sich wieder ihren Aufgaben zu.
Alma bot Prudence Hilfe bei der Herstellung des Senfumschlags an, was diese jedoch ablehnte. Einer der Jungen brachte Alma einen Zinnbecher voll Wasser aus der Pumpe im Garten. Das Wasser war warm, trüb und wenig verlockend. Alma zog es vor, nicht davon zu trinken. Sie nahm auf einer langen Bank Platz und wusste nicht, wohin mit dem Becher. Auch zu sagen wusste sie nichts. Prudence, die einige Tage zuvor Almas Briefchen erhalten hatte, gratulierte ihrer Schwester zur bevorstehenden Vermählung, doch es war nur eine Formalie, mit der das Thema angeschnitten und sogleich beendet war. Alma bewunderte die Kinder, die Sauberkeit der Küche, den Senfumschlag, und dann gab es nichts mehr, was sie noch hätte bewundern können. Prudence sah schmal aus, erschöpft, doch sie klagte weder, noch teilte sie Alma irgendwelche Neuigkeiten mit. Alma erkundigte sich auch nicht. Sie scheute sich davor, nähere Details aus dem Leben der Familie zu erfahren.
Nach einer Weile fasste sie sich schließlich ein Herz und fragte: »Prudence, dürfte ich vielleicht ein paar Worte unter vier Augen mit dir wechseln?«
Wenn Prudence überrascht war, so zeigte sie es nicht. Allerdings war ihr glattes, ebenmäßiges Gesicht noch nie imstande gewesen, einem so niederen Gefühl wie dem der Verwunderung Ausdruck zu verleihen.
»Sarah«, sagte Prudence zu ihrer ältesten Tochter. »Geh mit den anderen nach draußen.«
Die Kinder marschierten in feierlichem Gänsemarsch aus der Küche wie kleine Soldaten auf dem Weg in die Schlacht. Prudence hatte nicht etwa Platz genommen, sondern lehnte mit dem Rücken an der großen Holzplatte, die als Küchentisch diente, die Hände hübsch gefaltet auf ihre saubere Schürze gelegt.
»Ja?«, fragte sie.
Wie sollte Alma anfangen? Sie dachte fieberhaft nach. Alle Sätze, die ihr einfielen, nahmen sich unmanierlich, wenn nicht gar vulgär aus. Mit einem Mal bereute sie es, dem Rat ihres Vaters gefolgt zu sein. Am liebsten wäre sie davongerannt, fort aus diesem Haus – zurück zu den Annehmlichkeiten von White Acre, zu Ambrose und ihrem Zuhause, wo das Wasser kühl und frisch aus der Pumpe sprudelte. Doch vor ihr stand Prudence und sah sie durchdringend an, stumm, erwartungsvoll. Irgendetwas würde sie sagen müssen.
»Da ich nun also im Begriff bin, in den Stand der Ehe zu treten …«, begann Alma, verstummte und starrte ihre Schwester an, hilflos und in der unbegründeten Hoffnung, dass Prudence dieser unvollständigen Äußerung ausgerechnet das entnehmen würde, was Alma sie fragen wollte.
»Ja?«, wiederholte Prudence.
»… fehlt es mir gleichwohl an jeglicher Erfahrung«, brachte Alma ihren Satz kraftlos zu Ende.
Prudence sah sie an, unverwandt und in unerschütterlichem Schweigen. Nun hilf mir doch, Mädchen! , hätte Alma beinahe gerufen. Wäre jetzt doch nur Retta Snow da gewesen! Nicht die neue, verrückte Retta, sondern die alte, ausgelassene, zügellose Retta. Wären sie doch nur wieder junge Mädchen gewesen! Zu dritt hätten sie sich dem Thema vielleicht gefahrlos nähern können, irgendwie. Retta hätte etwas Amüsantes daraus gemacht, über das man frisch von der Leber weg sprechen konnte. Retta hätte Prudence aus der Reserve gelockt und Alma die Scham genommen. Doch es gab niemanden mehr, der den Schwestern hätte helfen können, sich wie Schwestern zu benehmen. Überdies schien Prudence keinerlei Interesse daran zu haben, das Gespräch mitzugestalten, denn sie schwieg hartnäckig.
»Nun ja, es fehlt mir vor allem an Erfahrung, was den Vollzug der Ehe betrifft«, stellte Alma schließlich mit dem Mut der Verzweiflung klar. »Vater schlug mir vor, dich um Rat zu fragen bezüglich des Themas … nun ja … wie man einen Ehegatten beglückt.«
Prudence hob akkurat eine Augenbraue. »Es betrübt mich zu hören, dass er mich für eine Expertin hält«, antwortete sie.
Es war wirklich eine törichte Idee, dachte Alma, doch nun gab es kein Zurück mehr.
»Du verstehst mich falsch«, protestierte sie. »Es ist doch nur deshalb, weil du schon so lange verheiratet bist, weißt du, und weil du so viele Kinder hast …«
»Die Ehe umfasst mehr als das, worauf du anspielst, Alma. Zudem hege ich gewisse moralische Vorbehalte, über derlei Dinge zu
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