Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
angefertigt worden war. Als Trauzeugen waren Henry Whittaker und Hanneke de Groot zugegen. Henry war bestens gelaunt, Hanneke weniger. Ein Richter aus dem Westteil von Philadelphia, mit dem Henry bereits häufig geschäftlich zu tun gehabt hatte, vollzog die Zeremonie, um dem Hausherrn eine Gefälligkeit zu erweisen.
»So lasset euch denn von Freundschaft leiten«, schloss er, nachdem das Ehegelübde getauscht worden war. »Bleibet aufmerksam gegen des anderen Leid und bestärkt einander in euren Freuden.«
»Partner in Wissenschaft, Geschäft und Leben!«, polterte Henry ganz unvermittelt los und putzte sich dann mit großem Nachdruck die Nase.
Weitere Freunde oder Verwandte waren nicht gekommen. George Hawkes schickte ein Kistchen Birnen als Geschenk, ließ aber ausrichten, er liege mit Fieber zu Bett und könne nicht kommen. Tags zuvor war außerdem ein großer Blumenstrauß vom Pharmazeuten Garrick eingetroffen. Was Ambrose anging, so war von seiner Seite niemand anwesend. Daniel Tupper, sein Freund aus Boston, hatte am Morgen ein Telegramm geschickt, des schlichten Inhalts: » GUT GEMACHT PIKE «, er selbst blieb der Hochzeit indessen fern. Boston lag zwar mit dem Zug nur eine halbe Tagesreise entfernt – trotzdem war niemand an Ambroses Seite.
Als Alma um sich schaute, wurde ihr klar, wie sehr ihr Haushalt inzwischen geschrumpft war. Diese Festgemeinde war viel zu klein. Gerade so viele Menschen, dass es für eine rechtsgültige Trauung reichte. Wie hatten sie bloß so vereinsamen können? Alma dachte an den Ball zurück, den ihre Eltern im Jahr 1808 gegeben hatten, auf den Tag genau vor vierzig Jahren: Auf der Veranda und dem großen Rasen hatte es von Tanzenden und Musikanten gewimmelt, und sie war mit ihrer Fackel zwischen ihnen umhergerannt. Heute konnte man sich gar nicht mehr vorstellen, dass White Acre jemals der Schauplatz eines solchen Spektakels gewesen war, von so viel Gelächter und Ausgelassenheit erfüllt. Es hatte sich in ein Sonnensystem der Stille verwandelt.
Alma schenkte Ambrose zur Hochzeit eine besonders schöne antiquarische Ausgabe von Thomas Burnets Telluris Theoria Sacra von 1684. Der Theologe Burnet ging davon aus, die Erde sei vor der Sintflut eine makellose Kugel von absoluter Perfektion gewesen, sie habe die Schönheit der Jugend und der blühenden Natur besessen, »frisch und fruchtbar, ohne jede Runzel, jedes Mal, jede Wunde an ihrem ganzen Leibe; ohne Felsen oder Berge, ohne tiefe Höhlen oder gähnende Schluchten, sondern ganz und gar ebenmäßig und gleichförmig«. Das war, in Burnets Terminologie, die »Erste Erde«. Alma vermutete, dass ihr Mann daran Gefallen finden würde, und so war es auch. Die Vorstellung von Perfektion, der Traum von unverdorbener Vollendung – das alles entsprach Ambrose durch und durch.
Ambrose seinerseits verehrte Alma ein Blatt wunderschönen italienischen Papiers, das er kunstvoll zu einem winzigen Umschlag gefaltet und mit vier verschiedenfarbigen Wachsen verschlossen hatte. Jede Falz war einzeln versiegelt, und kein Siegel war wie das andere. Es war hübsch anzusehen – so klein, dass sie es auf der flachen Hand halten konnte –, doch es war auch ein sonderbares Objekt, fast geheimnisvoll. Alma drehte das erstaunliche kleine Etwas zwischen den Fingern.
»Wie öffnet man ein solches Geschenk?«, fragte sie.
»Es ist nicht zum Öffnen da«, sagte Ambrose. »Ich möchte dich bitten, es niemals zu öffnen.«
»Was ist denn darin?«
»Eine Liebesbotschaft.«
»Tatsächlich?«, rief Alma erfreut. »Eine Liebesbotschaft! Die würde ich zu gerne sehen!«
»Mir wäre es lieber, wenn du sie dir vorstellst.«
»Meine Vorstellungskraft ist nicht so reich wie deine, Ambrose.«
»Wenn man das Wissen so sehr liebt wie du, Alma, dann tut es der Vorstellungskraft durchaus gut, sich eine Illusion zu bewahren. Wir werden einander so gut kennenlernen, du und ich. Lassen wir doch etwas unentdeckt.«
Sie schob das Geschenk in die Tasche. Dort blieb es den ganzen Tag über – eine sonderbare, zarte, rätselhafte Präsenz.
Am Abend speisten sie mit Henry und seinem Freund, dem Richter. Henry und der Richter sprachen dem Portwein ausgiebigst zu. Alma trank nichts, ebenso wenig wie Ambrose. Jedes Mal, wenn sie zu ihrem Mann hinübersah, lächelte er sie an – doch das hatte er ja stets getan, auch bevor er ihr Mann war. Es war ein Abend wie jeder andere auch, mit dem Unterschied, dass sie nun Mrs Ambrose Pike war. Die Sonne ging an diesem Abend nur
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